Bannkrieger
begreifen, was er da verlangte, doch sie hütete sich davor, ihm das zu sagen. Das gefährliche Glühen war in seine Augen zurückgekehrt. Ein falsches Wort genügte, um ihn zum Äußersten zu treiben, das spürte sie genau. Der Kampf gegen die Lederhäuter und der Kontakt zu einem großen Machtfokus hatten ihn derart aufgewühlt, dass ihm inzwischen alles zuzutrauen war, selbst der Mord an einem alten Weibe.
Das Schattengespinst, das sich bis zu seinem rechten Bein vorgearbeitet hatte, witterte das Gleiche. Kräftiger und wendiger als zuvor, richtete es sich auf, um unter Rorns zerschlissenes Hemd zu schlüpfen.
Hatras Blick wanderte von der Halskette in seiner Hand zu dem Gewirk und wieder zurück. Sie wollte ihn schon davor warnen, da glomm in ihr ein Gedanke auf! Gleich einem Funken, der auf trockenen Zunder fiel, loderte er in die Höhe, obwohl er sie zutiefst erschreckte.
War es vielleicht genau das, was der Weltenzehrer von ihr erwartete? Dass sie Rorns Forderungen erfüllte und schwieg? Wenn ja, warum? Um den Lauf der Dinge zu beschleunigen? Oder vielleicht doch, um den Untergang der Menschheit zu verhindern?
Hatra wusste es nicht, aber das war auch nicht wichtig. In diesem Moment – daran zweifelte sie nicht mehr – war sie nur ein Werkzeug der hohen Mächte, denen sie schon seit undenklichen Zeiten diente.
»Was ist?«, herrschte Rorn sie an, dem ihr Zögern viel zu lange dauerte.
Hatra hob beide Hände über den Kopf, zum Zeichen ihrer Unterwerfung. »Gut«, krächzte sie. »Ich tue, was du verlangst, aber dazu muss ich mich bewegen können.«
Ein misstrauischer Zug vertiefte Rorns verzerrte Züge, trotzdem löste er auch die andere Hand von ihrem Hals und erhob sich – gerade noch rechtzeitig, um dem Schattenstrang zu entgehen, der schon die ganze Zeit über an seinem Hemd genestelt hatte. Sofort wälzte sich das tiefschwarze Gespinst zur Seite und strebte seinem offenen Hosenbein zu.
Hatra stemmte sich in die Höhe und langte nach dem Lederband, das Rorn ihr entgegenhielt. Er hatte erst ein einziges Mal in seinem Leben gesehen, wie ein Zauber gewoben wurde, darum ging er davon aus, dass es stets auf die gleiche Art und Weise geschah. Um ihn nicht zu erzürnen, löste sie einen Perlmuttsplitter aus seiner Schlaufe und umschloss ihn fest mit der Hand.
»Was hast du vor?«, fragte Rorn aufgeregt.
»Das wirst du gleich sehen«, wich sie einer direkten Antwort aus, denn sie wusste es selbst noch nicht. Sie war keine Amulett-Zauberin wie die Scharlatane der Jadepriesterschaft, sondern eine Hexe alten Schlages, die sich der vorhandenen Kräfte so bediente, wie sie sich darboten. Mit spielerischer Leichtigkeit öffnete sie ihre inneren Sinne, erfasste die Ströme, die sie umflossen, griff in sie hinein, wirbelte sie umher und kanalisierte sie.
Die Hexe spürte ganz deutlich, dass es vor allem die Sorge um Neele war, die Rorn zum Äußersten trieb, aber auch, dass das Gespinst an seiner Seite nicht mehr bloß der abgetrennte Teil eines Lederhäuters war, sondern etwas von der Kraft der Schattenjade Durchdrungenes, das dadurch zu etwas Neuem geworden war. Ob zu etwas Gutem oder Schlechtem, hätte Hatra nicht zu sagen vermocht, nur dass es gleichermaßen von der Wut angezogen wurde, die in Rorn brodelte, wie von der Jadeaura, die aus irgendwelchen Gründen seinem rechten Ringfinger anhaftete.
Der Schmied baute sich schon wieder drohend auf, weil ihm alles zu lange dauerte, doch er kam nicht mehr dazu, handgreiflich zu werden. Im gleichen Moment verschwand das schwarze Gespinst unbemerkt unter seinem rechten Hosenbein und drang in seine Haut ein. Rorn zuckte schmerzerfüllt zusammen.
Unartikulierte Laute drangen über seine Lippen. Wenn es Worte waren, dann die einer längst vergessenen, urmenschlichen Sprache, die in Hatras Ohren zwar vertraut klang, aber dennoch vollkommen fremd wirkte. Sein wütender Blick bohrte sich in den ihren, weil er dachte, dass sie ihn hintergangen hätte. Anstatt Rorn eines Besseren zu belehren, öffnete die Hexe die Hand und blies ihm den darin entstandenen Perlmuttnebel ins Gesicht.
Hustend drehte sich der Schmied zur Seite, doch der wabernde Dunst zeigte ein ebensolches Eigenleben wie das Schattengespinst. Geschickt folgte das wirbelnde Grau seinen Bewegungen und formte dabei zwei helle Stränge, die ihm in die Nasenlöcher stießen und von dort mit einem leichten Fauchen tief in seinen Körper drangen.
Rorn keuchte vor Schmerz, knickte in den Beinen ein und krachte
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