Bannkrieger
ihm seine Stimmbänder wieder gehorchten. »Es gibt keine Vorräte mehr«, krächzte er, obwohl es ganz ähnliche Worte waren, die Gryff den Tod gebracht hatten. »Wir haben alles verloren.«
Der erwartete Tobsuchtsanfall blieb aus. Statt herumzubrüllen, übte sich Kraal lieber in einer schneidenden Freundlichkeit, die mindestens ebenso furchteinflößend war.
»Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage immer noch nicht bewusst«, erklärte er kalt lächelnd. »Gut, dann lass es mich noch ein letztes Mal erklären.« Kraal hob die Stimme an, damit ihn alle Dorfbewohner verstehen konnten, gleichzeitig fuhr er mit dem rechten Zeigefinger über das Geflecht der blutigen Striemen, das sich unter Bentos zerfetztem Leinenhemd abzeichnete. »Iskandische Streitkräfte sind an der Grenze zu Baros aufmarschiert und fallen auf breiter Front in unser Land ein«, rief er den Umstehenden zu, während Bento vor Schmerzen zusammenzuckte. »König Dagomar hat deshalb befohlen, frische Truppen zur Landesverteidigung auszuheben und die Verproviantierung derselben sicherzustellen. Überall im Land kommen die Menschen dieser Anordnung nach. Die waffenfähigen Männer melden sich scharenweise zur Verteidigung des Landes, und jeder gibt bereitwillig, was seine Vorratskammer zu bieten hat. Nur hier, in Dornhain, scheinen alle zu glauben, dass der Schutzbann der Jademeister eine von den Göttern gegebene Selbstverständlichkeit ist.«
Eine ähnliche Rede hatte Kraal gleich nach seinem Eintreffen gehalten. Gryff hatte daraufhin höhnisch aufgelacht und gerufen: »Welcher Schutzbann? Siehst du nicht, was uns widerfahren ist? Uns wurde alles genommen, was wir besaßen! Selbst über den Vorratsspeicher sind die elenden Plagegeister hergefallen!«
Der Alte hatte nur ausgesprochen, was alle dachten – und dafür einen hohen Preis bezahlt. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte ihn der Feldweibel mit dem Schwert niedergestreckt. Aus diesem Grund wagte nun auch niemand einen Ton zu sagen, so lächerlich seine neuerliche Ansprache auch war. Keiner verspürte Lust, Gryffs Schicksal zu teilen.
»Was ist?«, rief Kraal. »Wollt ihr euch endlich eurer Pflichten gegenüber dem König und seiner Priesterschaft besinnen? Oder müssen meine Schergen erst richtig ungemütlich werden?«
Ängstliches Schweigen erfüllte den Platz, bis Bento mit zitternder Stimme das Wort ergriff. »Wir ziehen gern alle gegen Baros in den Kampf«, versuchte er das Wohlwollen der Gardisten zu gewinnen, bevor er hinzufügte: »Für uns gibt es hier ohnehin nichts mehr, was uns hält. Vor allem keine Vorräte.«
Davon ließ sich Kraal nicht erweichen.
»Zehn weitere Peitschenhiebe!«, lautete seine an alle gerichtete Antwort.
Ein vielfaches Aufstöhnen erklang. Diesmal hörte Bento sogar sein Weib und seine beiden Töchter aus dem Chor der Mitleidigen heraus. Nur sich für ihn einzusetzen wagte keiner aus dem Dorf.
Dafür kam unerwartet Hilfe von ganz anderer Seite.
»Seid Ihr sicher, Feldweibel?«, fragte der Gardist, der die Peitsche schwang, ein Veteran mit narbiger Haut und bereits grau durchwirktem Haar, der gut und gern der Vater des Unteroffiziers hätte sein können. »Zehn weitere könnten ihn umbringen. «
»Nicht, wenn er sich rechtzeitig entschließt, die Wahrheit zu sagen.«
Kraals Antwort erschreckte die Menschen, selbst seine eigenen Leute. Im Gegensatz zu ihm zweifelte sonst keiner an den Beteuerungen des Dorfschulzen. Doch der Gehorsam, den ihm die Untergebenen schuldeten, verhinderte große Widerworte. Schließlich diente die Peitsche, die der Narbige schwang, sonst vor allem ihrer Disziplinierung. Auch der Dienstälteste, der sich mehr als die übrigen Gardisten herauszunehmen getraute, ordnete sich wieder unter. Gehorsam rollte er die bereits zusammengelegte Peitsche wieder aus.
»Es ist nur so«, erklärte er dabei, in einem um Entschuldigung heischenden Tonfall, »dass ich bisher nie erlebt habe, dass ein Bauer nach zehn Schlägen noch log.«
»Und das macht dieser Schulze auch nicht!«, schrie da Bentos Weib, obwohl er ihr doch eindringlich geheißen hatte, mit keinem Ton auf sich aufmerksam zu machen, ganz egal, was auch geschehen mochte. »Es gibt keine versteckten Vorräte! Das geflügelte Geschmeiß hat uns alles genommen, genau so, wie mein Mann es euch gesagt hat!«
Bento stöhnte innerlich auf über ihre Unvernunft.
Es war doch längst offensichtlich, dass ihnen dieser elende Feldweibel einfach nicht glauben wollte . Wieso machte sich
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