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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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Schattenschwestern.
    Zur Zeit der Zyklopen
    Trotz der dichten Regenschleier drängten sich die Schaulustigen Schulter an Schulter um das aus groben Balken gezimmerte Podest, das sich in der Mitte Marktplatzes erhob. Ganz Myandor schien auf den Beinen, um den Tod des Großmagiers mit eigenen Augen anzusehen. Nicht nur alle umliegenden Dächer, auch sämtliche Fenster in Sichtweite waren bis auf die letzte freie Ecke besetzt. Anstatt sich einen Weg durch den wogenden Ring aus Leibern zu bahnen, wartete Hatra in aller Ruhe das Ende des von ihr selbst heraufbeschworenen Schauers ab, bevor sie ihren Körper federleicht machte und über die Köpfe der Menge hinwegschwebte.
    Aufrecht, mit erhobenem Haupt und dem Stolz einer Seth, die wusste, dass sie das Richtige tat. Perac bot dagegen ein Bild des Jammers, so schlaff, wie er im Griff der beiden Leibgardisten hing, die Hatra in einigem Abstand folgten. Die Sonne brach gerade durch die Wolken, als sie das durchnässte Holzpodest erreichte. Unter ihr glänzte eine große Pfütze, die ringförmig auseinanderperlte, bevor sie sanft mit den Sohlen aufsetzte.
    Die beiden geflügelten Leu, die Perac trugen, legten ihre bewusstlose Last überraschend vorsichtig ab, bevor sie wieder davonflogen. Ihr Ziel war eine steinerne Empore an der Stirnseite des Platzes, auf der sich Eonis und die übrigen Greifen niedergelassen hatten. Sie erhofften sich für diesen Nachmittag nicht nur ein blutiges Spektakel, sondern auch den Verlust ihrer Schwingen, was ihnen allen deutlich anzusehen war.
    Zufrieden betrachtete Hatra die erwartungsvollen Löwenaugen, die sie von allen Seiten anstarrten, während die Jadekugel in ihren Händen zu knistern begann. Alles verlief, wie sie es vorbereitet hatte, selbst die Wolken stoben auf ihren geistigen Befehl hin schneller auseinander, als ein Wind sie hätte vertreiben können. Goldgelbes Sonnenlicht fiel herab und leuchtete den Platz bis in die letzte Ecke hin aus.
    Wer ein Auge dafür besaß, erkannte jetzt die feinen Tropfen, die noch die Luft schwängerten, aber die meisten Blicke galten natürlich dem Regenbogen, der sich plötzlich über den Dächern der Stadt zeigte.
    Knurrende Laute der Bewunderung stiegen von der zuvor schweigenden Menge auf, obwohl dieses Naturschauspiel in Myandor keinen Seltenheitswert besaß. Die meisten Leu hatten wohl einfach ein düsteres Schauspiel voller Blut und Verzweiflung erwartet und waren nun von den gänzlich anderen Umständen angetan. Das sollte allerdings nicht die einzige Täuschung sein, der sie erlegen waren.
    Hatra lächelte verschmitzt.
    Perac hatte die ganze Zeit über mit der linken Gesichtshälfte in einer Pfütze gelegen, vielleicht war das der Grund, warum er sich plötzlich regte. Die Hexe konnte nicht anders, als ihm ein gewisses Maß an Bewunderung zu zollen. Die Wirkung des Fliegenpilzpulvers, das sie dem Schlafenden ins Gesicht gepustet hatte, hätte eigentlich bis zum Abend anhalten müssen, doch seine Widerstandskraft war so groß, dass er die Bewusstlosigkeit bereits wieder abschüttelte.
    Gepresste Laute von sich gebend wälzte sich Perac umher. Die auf dem Rücken gefesselten Hände machten es ihm schwer, sich zurechtzufinden, doch schließlich schaffte er es doch, die Beine so unter den Körper zu ziehen, dass er sich auf den Knien aufrichten konnte. Verwirrt gegen die Sonne blinzelnd versuchte er sich darüber klar zu werden, was mit ihm geschehen und wie er ins Freie gekommen war. Sicherlich hätte er gerne entsprechende Fragen gestellt, doch seine Versuche, den Mund zu öffnen, scheiterten an dem Zwirn, mit dem Hatra ihm die Lippen vernäht hatte.
    »Tut mir leid, es ging nicht anders«, behauptete sie. »Ich kenne deine Neigung, Knebel auszuspucken. Und du würdest sonst nur die armen Leu mit nach Zauberformeln klingenden Flüchen erschrecken.«
    Peracs Augen weiteten sich vor namenlosem Grauen, als er die Jadekugel in ihren Händen bemerkte. Auch wenn er nicht wusste, was Hatra genau plante, so durfte er sich von nun an sicher sein, dass er dabei sterben sollte. Augenblicklich stellte er seine Sprechversuche ein, die nur dazu führten, dass sich der blutverschmierte Zwirn noch tiefer in die Stichwunden fraß. Sein auf Hatra gerichteter Blick verschleierte, weil er in sich selbst versank, um seine geistigen Kräfte zu sammeln.
    Trotz seines angeschlagenen Zustandes spürte Hatra ein körperloses Tasten, das ihre Gedanken zu stören versuchte. Schon alleine aus diesem Grunde hätte sie

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