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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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sie im weichen Gold steckenblieben. Andere durchschlugen ihm die Fellschwingen, zerschnitten sein Gesicht, den Schwerthandrücken und eines seiner Ohren. Derart aus der Flugbahn geworfen prallte er hart auf das Podest, richtet sich aber sofort wieder auf, um auf die schutzlose Hexe loszugehen.
    Aus , dachte Hatra. Nun habe ich den Bogen doch überspannt.
    Aber das, was sie in die richtigen Bahnen gelenkt hatte, ließ sich längst nicht mehr aufhalten. Ein harter Erdstoß holte beinahe jeden in der Stadt von den Beinen und wirbelte alles durcheinander. Auch Eonis und sie. Noch während sie dem feuchten Holz entgegenstürzte, spürte Hatra, wie etwas von oben an ihr zerrte. Ein gestaltloser Sog, der auch jeden anderen in Myandor erfasste. Erneut sah sie zum Himmel auf, zu dem fernen Wirbel, der sich unterhalb des Regenbogens abzeichnete. Wie ein gewaltiger Mahlstrom sah er aus, der alles Bewegliche in der weißen Stadt unerbittlich an sich zog.
    Ein kalter Wind heulte durch die Marmorgassen. Staub zog in dichten Schleiern durch die Luft. Die Toten waren die Ersten, die in die Höhe gerissen wurden. Alle anderen folgten einen Herzschlag später. Selbst die Mamuth konnten sich diesen übermächtigen Kräften nicht lange entgegenstemmen.
    Auch alles Flügelschlagen half nichts.
    Ob Freund oder Feind, plötzlich kreisten sie alle Seite an Seite unter dem Regenbogen umher. Dabei entstand ein solches Gedränge, das zahlreiche Rüstungsteile und Waffen verloren gingen. Auch Eonis wurde der Schwingenschild vom Arm gerissen. All diese toten Gegenstände regneten ebenso zu Boden wie die Leichname, fast so, als wären sie es nicht wert, die lange Reise anzutreten. Alle anderen wurden hingegen auf einen Schlag in den offenen Zeitschlund hineingesaugt.
    Hatra, die diesen Weg schon einmal hinter sich gebracht hatte, blickte als Einzige zurück.
    Unter ihr, in der sichtbaren Welt, war scheinbar alles aus den Fugen geraten. Immer neue Erdstöße erschütterten Myandor, bis die Fundamente der Marmorbauten brachen. Dächer stürzten ein, Mauern kippten aus ihrer Verankerung und stürzten über andere Trümmer hinweg. Doch es war nicht nur die Stadt, die zerfiel. So tief in der Welt hinter der Welt, wie Hatra sich schon befand, konnte sie die Kraftströme sehen, die alles Sichtbare durchflossen.
    Die entfesselten Kräfte der geborstenen Jadekugel griffen tief in die eingespielten Abläufe ein. Ob nun Luftströme in höchsten Höhen oder Wasserläufe, die sich durch die Landschaft schlängelten, alles wurde durcheinandergebracht. Simwae würde deshalb über weite Teile veröden, während das angesaugte Wasser sturzflutartig im Nordosten niedergehen und dort alles in Morast verwandeln würde.
    Das war ihre Rache, über Generationen hinaus!
    Als Nächstes sah Hatra, wie der Schlund hinter ihr allmählich schrumpfte und sich schließlich gänzlich zusammenzog, bis nur noch das graue, alles umspannende Nichts existierte, das sie alle, auch die Leu und Zyklopen, verschlang. Der Hexe machte es nichts aus, plötzlich alleine zu sein, denn sie hatte ein Ziel vor Augen, bei dem sie keine Begleitung brauchen konnte. Allein mit der Kraft ihrer Gedanken steuerte sie den Schlupfwinkel an, der ihr schon einmal äonenlang Zuflucht gewährt hatte: der Ort, an dem die Zeit nicht existierte. Scheinbar nur wenige Augenblicke ließ sie sich dort treiben, bis sie die faustgroße Sphäre entdeckte, die sie mit Hilfe der Blutjade hier zurückgelassen hatte. Mit ihr in den Händen wünschte Hatra sich an den Ausgangspunkt ihrer Reise zurück, zu einem Portal über Simwae. Das war der einzige Weg, auf dem sie diese körperlose Welt hinter der Welt verlassen konnte. Das war ihre Rache an den Leu und den Zyklopen.
    Geduldig glitt die Hexe durch den endlosen Nebel, ohne jemandem zu begegnen. Ferne Stimmen und Schatten waren der einzige Hinweis darauf, dass es noch andere gab wie sie.
    Der Eintritt in ihre alte Welt raubte ihr beinahe den Atem.
    Unter irgendeinem Regenbogen nahm Hatra wieder Gestalt an – und stürzte umgehend der Erde entgegen. Sofort wandte sie die Kunst der Levitation an, um den Fall zu verlangsamen, doch es strengte sie ungewöhnlich stark an, den Schwebezustand einzunehmen. Die Wiese, die sich unter ihr ausbreitete, näherte sich viel zu schnell. Die Angst, beim Aufschlag zu zerschmettern, half ihr dabei, noch einmal das Letzte aus sich herauszuholen.
    Der Aufprall auf dem weichen, leicht morastigen Boden war schmerzhaft, aber ungefährlich.

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