Bannstreiter
Stillen. Was hast du mir da auf den Hals gehetzt?
Ihr Blut zog sich immer weiter in ihren Körper zurück, während sie sich für einen zweiten, weitaus stärkeren Feuerstoß sammelte. Ein Mantel aus Eis umhüllte Veneas grazilen Körper, während die Flammensäule in die Höhe stieg.
Steinstaub rieselte die Wand herab.
Rückwärts gehend wich die Spinne zurück, doch die Hexe musste nur die Haltung ihres Armes korrigieren, um das Tier trotzdem zu rösten. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft, während das Untier weiter die Fassade emporkrabbelte.
Wo der Flammenstrahl traf, spaltete er sich auf. Einige der entstehenden Ausläufer züngelten an dem Spinnenreiter empor und setzten sein strähniges Haar in Brand. Die feurige Rasur störte ihn nicht im Mindesten, obwohl sein linkes Ohr verkohlte. Ungerührt spannte der Hohlwangige erneut den Bogen und zielte auf die Stelle, an der er seine unsichtbare Gegnerin vermutete.
Vor Kälte zitternd taumelte Venea zurück.
Im Schein der langsam verglühenden Brandherde verfolgte sie, wie die qualmende Bogensehne an genau der Stelle riss, die kurz zuvor den Flammen ausgesetzt gewesen war. So groß die Enttäuschung des entwaffneten Attentäters auch sein mochte, er blieb stumm wie ein Fisch, während sein Reittier ein grässliches Zischen ausstieß.
Blitzartig kreiselte das Tier an der glatten Mauer herum und reckte seinen Hinterleib in die Höhe. An seiner Kehrseite befand sich eine nässende Öffnung, die große Ähnlichkeit mit einer aufgeplatzten Warze hatte. Ein krampfhaftes Zucken schüttelte die Drüse. Einen Herzschlag später schossen graue Fäden durch die enge Gasse. Rasch breiteten sie sich zu einem filigranen Gebilde aus, einem klebrigen Spinnennetz, dem Venea nur entging, indem sie sich mit einem raschen Sprung aus der Gefahrenzone katapultierte.
Obwohl ihr die Kälte schmerzlich in die Knochen biss, hielt sie ihre Tarnung auch im Dunkeln aufrecht. Ihr Herz trommelte wie wild. Übelkeit stieg in ihr auf, während sie kniend das Symbol für einen weiteren Flammenstoß in die Luft zeichnete. Ihr stummer Gegner dachte aber gar nicht daran, sich ein weiteres Mal einheizen zu lassen. Angesichts seiner zerbrochenen Waffe wäre das auch unsinnig gewesen.
Über Venea erklang ein Scharren, gleichzeitig schwächte sich der Gestank der verschmorten Borsten ab. Geschmeidig glitt das monströse Wesen die Senkrechte empor und verschwand über das angrenzende Dach. Die dünnen Beine zeichneten sich kurz im Sternenlicht ab, sodass Venea die vorbereitete Attacke im letzten Moment zurückhielt. Sie wäre auch sinnlos gewesen, denn der anvisierte Hinterleib tauchte bereits hinter einer Barriere aus massivem Stein ab. Die Spinne und ihr in Leder gekleideter Reiter waren längst außer Reichweite.
Venea zitterte vor Kälte.
Beide Hände überkreuz unter die Achseln gepresst, beendete sie ihren Tarnzauber. Wieder sichtbar für das menschliche Auge, lauschte sie nach den Herzschlägen der Flüchtenden. Doch sosehr sie sich auch bemühte, sie machte kein einziges Pochen aus, weder den Herzschlag eines Menschen noch den eines Tieres.
Sowohl der Reiter als auch die Spinne schienen im wahrsten Sinne des Wortes herzlos zu sein.
Dafür bemerkte Venea einen hämmernden Rhythmus zu ihrer Linken! Wer auch immer von dort nahte, schickte sich gerade an, zu ihr in die Sackgasse zu stürmen. Keuchend malte Venea ein knisterndes Zeichen in die Luft. Es fehlte nur noch die letzte, alles entscheidende Linie, als eine Frau um die Hausecke bog.
Jung, schlank, rothaarig – mit drei ledernen Beuteln an der Hüfte und einem haselnussbraunen Umhang über den Schultern.
»Halt ein, Schwester!«, rief die Unbekannte angesichts der aufglühenden Linien. »Wir beide sind vom gleichen Schlag.«
Obwohl Venea das Gesicht des Rotschopfs noch nie zuvor gesehen hatte, spürte sie ebenfalls, dass die andere eine der ihren war. Eine Schattenschwester.
Aber in Zeiten wie diesen zählten keine Gefühle. »Beweise deine Worte«, forderte Venea, den Zeigefinger weiter drohend in das knisternde Symbol gebohrt.
Lächelnd schlug der Fuchskopf den Mantel zurück und präsentierte ihre silbernen Schlangen, die Veneas Armbändern bis auf die letzte Schuppe glichen. Das allein war zwar noch kein Beweis, denn solcher Schmuck konnte imitiert oder gestohlen werden, doch als die Fremde sich anschließend über den linken Oberarm strich, trat auf ihrer blassen Haut eine zuvor unsichtbare Tätowierung
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