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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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und dann wieder dunkler brauste, je nachdem, wie es um die jeweiligen Stimmungen bestellt war. Eine magische Aura war allerdings nicht auszumachen, darum tastete Venea in Gedanken nach den Jadesteinen ihrer Armbänder und zapfte die in ihnen schlummernden Kräfte an.
    Kein menschlicher Beobachter, der die junge Hexe so stehen sah, konnte erahnen, was in ihr vorging. Nur die Katze, die über den handbreiten Grat der Brüstung heranstolzierte, hielt abrupt im Schritt inne und schoss plötzlich fauchend über den Platz davon.
    Falls sich irgendjemand über dieses Verhalten wunderte, brachte er es vermutlich nicht mit der unbeweglich dastehenden Frau in Verbindung, und falls doch, hätte die Hexe keine Zeit gehabt, dem irgendwelche Beachtung beizumessen. Denn in genau diesem Moment spürte sie etwas, das ihre Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch nahm! Ein Gefühl fremden Erschreckens, das ebenso schnell verschwand wie es aufgeflackert war, fast so, als hätte jemand ihre geistige Annäherung bemerkt und verschlösse sich nun vor ihr.
    Von dieser flüchtigen Entdeckung geleitet wirbelte Venea herum und starrte in die Richtung, aus der die starke Emotion gedrungen war. Hinauf zu dem Dach eines dreistöckigen Gebäudes, auf dem ein unförmiger Schatten gerade hinter einem rauchenden Schornstein verschwand. Zumindest wirkte es so, oder gaukelten ihr das ihre überreizten Sinne nur vor?
    Venea kniff die Augen zusammen, um die helle Sandsteinfassade genauer abzusuchen. Vergeblich. Das Einzige, was sich dort oben noch regte, war der senkrecht in die Höhe steigende Rauch, der nur allmählich mit dem Wind verwehte. Auch ihre unsichtbaren Fühler entdeckten nichts Verdächtiges, aber das hatte nichts zu bedeuten. Jede magische Aura ließ sich mit etwas Geschick verschleiern.
    Einem alten Rat der Schattenmutter folgend lauschte Venea deshalb nach Herzschlägen. Erfolglos. Entweder war dort oben wirklich niemand (mehr), oder das Herz des Betreffenden war zu klein, als dass sich ein Pochen ausmachen ließe.
    Ob sich hinter dem Schornstein nur ein vorwitziges Kind verbarg, das den Marktplatz in spielerischer Neugierde beobachtet hatte? Oder eine streunende Katze, die ziellos über die Dächer streifte? Venea wusste es nicht. Doch sie nahm sich vor, von nun an nicht nur vorsichtige Blicke über die Schulter, sondern auch in die Höhe zu werfen. Ermattet von der Anstrengung verschloss sie ihren Geist wieder.
    Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen. Vor Tavernen und Schenken wurden die ersten Lampen entzündet.
    Venea machte sich auf den Weg.
    Die Richtung, die sie einschlug, führte in ein älteres Viertel, in dem die Gebäude schon seit vielen Generationen standen, sodass die Sandsteinfassaden überall schwarz verkrustet waren. Auch das Pflaster wurde hier nicht so gründlich gefegt wie dort, wo die reichen Seehändler lebten. An vielen Ecken roch es nach Unrat und überquellenden Kanälen. Nur weit verstreut stehende Feuerkörbe schufen Lichtinseln, zwischen denen tiefe Dunkelheit lastete.
    Für gewöhnlich machte Venea das nichts aus.
    Normalerweise war ihr die Nacht eine Freundin, die sie vor lästigen Blicken verbarg, und der Mond ein Gefährte, dessen fahler Schein ihr vollauf zum Sehen genügte. Doch was nutzte all das gegen einen Gegner, der sich mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit über die Dächer fortzubewegen verstand? Immer wieder hörte sie Tonziegel knarren. Links über ihr streifte irgendetwas durch die Nacht, das viel zu schwer für eine Katze oder einen anderen harmlosen Streuner war.
    Plötzlich wünschte sich Venea, sie hätte keinen so großen Umweg eingeschlagen. Im Fetten Fang warteten ihre Schwestern auf sie. Mit ihnen an der Seite wäre es leichter gewesen, einer aufziehenden Gefahr zu trotzen.
    Schnell trat die Hexe in einen leeren Hauseingang, um aus dem Schutz des Schlagschattens heraus zur gegenüberliegenden Dachreihe aufzusehen. Aber die vorstehenden Erker und Einfassungen, die sich dort erhoben, verschmolzen bereits mit der Dämmerung. Und die aufsteigende Mondsichel stand noch nicht hoch genug am Himmel, um das lastende Dunkel zu vertreiben.
    Erneut glaubte Venea etwas durch die Nacht gleiten zu sehen. Etwas Großes, Unförmiges, von groteskem Ausmaß, das nicht im Mindesten an eine menschliche Gestalt erinnerte.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit stieg kalte Angst in ihr auf. Die Schattenmutter hatte sie davor gewarnt, dass der Raubzug, den die Schwesternschaft in Leru durchführen

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