Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
schob einmal mehr die Brillengläser zurecht. Der kleine gewissenhafte Mann schätzte die Aufgabe ganz und gar nicht, die ihm jetzt bevorstand. Schon beim Eintritt hatte es John Bartholomew befremdet, die Bibliothek leer zu finden.
Mr. Routhland ließ niemals auf sich warten. Was also mochte heute den Gentleman abhalten, rechtzeitig zu diesem ihrem festgesetzten Treffen zu erscheinen? Seit zwanzig Jahren schon stand er im Dienste der Routhlands, erst als Sekretär des Vaters und nun als der des Sohnes Routhland. Es hatte einmal den Anschein gehabt, als wollte John Bartholomew Lehrer werden. Doch daraus war dann doch nichts geworden. Bis heute hatte er den Entschluß nicht bereut, für die Herren auf Swanhouse Plantation zu arbeiten.
Immer noch fassungslos, blickte John Bartholomew auf den Brief, der mit der Morgenpost gekommen war. Er war von Oliver Greenburg, einem bekannten Anwalt hier in Savannah, und der Sekretär war keineswegs begeistert, seinen Brotgeber mit dem Inhalt vertraut machen zu müssen. Denn Mr. Routhland, das war vorauszusehen, würde nicht eben erfreut über die Unannehmlichkeiten sein, die dieses Schreiben für ihn mit sich bringen mußte. Mehr Zeit, über die entstandene Zwangslage nachzudenken, blieb nicht mehr, denn der Herr von Swanhouse Plantation hatte die Bibliothek betreten.
Damon Routhland war von überwältigender Körpergröße. Dunkelbraunes Haar wellte sich leicht im Nacken, etwas auf gehellt von der Sonne, so daß die Farbe der metallisch schimmernden Strähnen beinahe dem ungewöhnlichen Goldton der Augen entsprach. Er war ein überaus hübscher Mann, dessen Anlage zum Herzensbrecher manche junge Dame bestätigen mochte. Als Alleinerbe der größten und blühendsten Plantage in Chatham County lagen die jungen Mädchen aus den besten Familien ihm zu Füßen, sobald sie im heiratsfähigen Alter waren. Unzählige ehrgeizige Mütter zeichneten ihn aus in der Hoffnung, er könne sich um die Töchter bewerben. Bisher war es ihm allerdings gelungen, jeder möglichen Ehefalle auszuweichen.
„Guten Morgen, John. Ich hatte noch dringende Briefe zu beantworten. Lassen Sie uns also gleich zur Sache kommen, denn ich werde am Nachmittag in die Stadt reiten.“ Er wies auf das Schreiben in der Hand des Sekretärs. „Hat es damit zu tun?“
John Bartholomew hüstelte und räusperte sich dann. „Ich fürchte, daß es Ihnen gar nicht gefallen wird, Mr. Routhland. Es scheint, daß ein gewisser Mr. Douglas Bradford verschieden ist und Sie zum Vormund seiner vierzehnjährigen Tochter eingesetzt hat.“
Spöttisch zog Damon Routhland eine der dunklen Brauen hoch. „Sie scherzen wohl? Kein Mensch würde mir ein junges Mädchen anvertrauen.“
Sie wußten beide, ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß gewiß bei Damon Routhlands Ruf, was Frauen anging, kein Vater, der sein Kind liebte, eine Vierzehnjährige seiner Obhut übergeben könnte.
„Vielleicht“, setzte der Sekretär erklärend hinzu, „vielleicht verstehen Sie diesen besonderen Fall besser, wenn Sie diese Zeilen gelesen haben.“
Damon Routhland nahm den Brief und überflog mit gerunzelter Stirn die Seite.
Sehr geehrter Mr. Routhland,
zu meinem tiefsten Bedauern muß ich Ihnen mitteilen,
daß Mr. Douglas Bradford verstorben ist …
Damon Routhland sah seinen Sekretär verwundert an. „Ich wußte, daß Douglas Bradford eine Zeitlang krank gewesen war, aber ich begreife nicht, was sein Hinscheiden mit mir zu tun haben könnte. Er war ein lieber Freund meines Vaters, ich persönlich habe Bradford jedoch kaum gekannt.“
„Wenn Sie weiterlesen“, drängte der Sekretär, „werden Sie besser verstehen, um was es geht.“
Damon Routhland nickte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Brief zu.
Sie müssen wissen, daß Mr. Bradford in seinem Letzten Willen Mr. Damon Routhland zum Vormund seiner vierzehnjährigen Tochter Royal bestimmt hat. Ursprünglich mag es seine Absicht gewesen sein, Ihrem Herrn Vater diese Aufgabe zu übertragen. Nach dessen Tod habe ich zu wiederholten Malen vorgeschlagen, das Testament zu ändern, doch Mr. Bradford überhörte meine Hinweise immer wieder.
Da Sie denselben Namen tragen wie Ihr Vater, aber auch, weil ich den Willen meines verstorbenen Klienten ehren will, sollten Sie aus gesetzlichen Gründen bei der Eröffnung des Letzten Willens von Mr. Bradford anwesend sein. Es handelt sich dabei um eine bloße Förmlichkeit, um allen möglichen Mißverständnissen vorzubeugen …
Damon
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