Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
nicht, der ihr den letzten Sommer, den sie vor Jahren in Savannah verbracht, so angenehm verschönt hatte. Dann freilich stellte sie mit wachsender Aufmerksamkeit fest, daß aus dem unerfahrenen jungen Menschen von damals ein ungewöhnlich aufregender Mann geworden war.
„Damon Routhland“, sagte sie nachdenklich. „Es ist viele Jahre her, seitdem ich ihm zum letzten Mal begegnet bin. Kennst du ihn näher, Royal?“
„So gut wie überhaupt nicht“, gab Royal zurück. „Natürlich weiß ich, wer er ist, doch ich zweifle, ob er überhaupt jemals von mir gehört hat.“
Endlich wandte sich Mr. Greenburg an die Anwesenden. „Darf ich denen unter Ihnen, die Mr. Damon Routhland nicht kennen, den Gentleman hiermit vorstellen?“
Nur flüchtig traf Damon Routhlands Blick Arabella. Doch in diesem kurzen Moment las sie vieles in dem anziehenden Gesicht: Selbstsicherheit, Hochmut, Herablassung. Alles, nur keine Spur von Wärme. Dieser Mann war sich seiner starken Ausstrahlung, seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewußt und nahm sie gleichgültig zur Kenntnis. Er war ein ungewöhnlich begehrenswerter Mann.
Die Jacke aus feinstem blauem Samt betonte die breiten Schultern, unter den gleichfarbigen enganliegenden Hosen zeichneten sich die sehnigen Schenkel ab. Die Beine steckten in schwarzglänzenden Reitstiefeln. Nein, das war keineswegs mehr der blindverliebte Jüngling von damals, und Arabella fand das recht bedauerlich. Ob er sich noch an sie erinnerte?
Damon Routhland musterte seinerseits Arabellas Gesicht. Ungehalten nahm er zur Kenntnis, daß sie weder alt noch häßlich geworden war, im Gegenteil. Sie war jetzt noch schöner als vor acht Jahren. Das schwarze Kleid brachte ihre helle Haut vorteilhaft zur Geltung. Das rote Haar schimmerte dunkler, als er es in Erinnerung hatte. Nun lächelte sie ihm herausfordernd zu, und Damon Routhland wußte, daß auch Arabella eben an jene letzte Nacht dachte, die er mit ihr verbracht hatte.
Gelassen musterte er nun das junge Mädchen an Arabellas Seite. Unter den großen Augen des Kindes lagen dunkle Ringe. Sie selbst wirkte so zerbrechlich, als wäre sie eben von schwerer Krankheit genesen. Wahrscheinlich hatte der Tod des Vaters das zarte Geschöpf so mitgenommen. Damon Routhland empfand plötzlich Erbarmen mit Royal Bradford, ein Gefühl, das er unter den gegebenen Umständen so gar nicht begrüßte.
Royal beobachtete, wie Damon sich gegenüber dem Anwalt in dem tiefen Ledersessel niederließ. Als ihre Blicke sich trafen, nickte Routhland dem Mädchen flüchtig zu und wandte sofort seine Aufmerksamkeit wieder Arabella zu.
„Nun, da wir vollzählig versammelt sind“, ergriff Mr. Greenburg das Wort, „möchte ich gleich zur Eröffnung des Testaments schreiten.“ Er winkte das Ehepaar Beemish näher heran und bedeutete ihm, sich zu setzen. Dann erst nahm er ein umfangreiches Dokument auf und blickte kurz darauf. „Es erscheint nicht wichtig, den Letzten Willen in ganzer Länge durchzugehen. Mit Ihrer Einwilligung, Miss Bradford“, er verneigte sich leicht vor Royal, „werde ich nur das Wesentliche daraus vorlesen.“
Royal nickte, und der Anwalt begann: „Zunächst einmal, es war Mr. Douglas Bradfords Wunsch, daß Sie, Tobias und Alba Beemish, in diesem Haus für immer ein Heim haben sollen, wenn Sie das möchten. Darüber hinaus setzte mein Auftraggeber Ihnen beiden je fünfhundert Pfund als Vermächtnis für treue Dienste aus.“
Alba führte den Schürzenzipfel an die Augen, Tobias streichelte ihre Schulter. Solche Großzügigkeit hatten sie nicht erwartet und waren erst einmal ganz überwältigt.
„Das sind ja ganze tausend Pfund“, bemerkte Victor Bradford grollend.
Mr. Greenburg, der dem zänkischen Mann offensichtlich vom ersten Sehen an nicht besonders gewogen war, nickte mit allen Anzeichen von Ungeduld. „Danke, Mr. Bradford, Sie haben sich nicht geirrt. Darf ich nun fortfahren?“
Der Cousin des Toten nickte beleidigt und enthielt sich aber des weiteren Wortes. Der Advokat hob die Stimme und las nun aus dem Testament vor.
Da meine Frau und ich in England geboren und aufgewachsen sind, war es von Anfang an unser beider Wunsch, daß unsere Tochter an derselben Schule erzogen werden sollte wie einst die Mutter. In voller Übereinstimmung mit meiner Frau bestimme ich daher, daß Royal an die Fulham School for Young Ladies in London geschickt wird, um dort ihre Erziehung zu vervollständigen.
Weiter ist es mein Wille, meine geliebte Tochter
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