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Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht

Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht

Titel: Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constance Banyon
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nicht mit seinem Tode gerechnet.
    Die Mutter war heimgegangen, als Royal kaum zwei Jahre zählte, und sie konnte sich nicht an die Verstorbene erinnern. Die Tatsache, daß der geliebte Vater nun wenigstens wieder mit seiner Frau vereint war, die der Inhalt seines Lebens gewesen war, hatte dennoch etwas Tröstliches.
    Fröstelnd zog Royal die Kapuze über den Kopf, ging wie eine Schlafwandlerin den Weg zurück und verließ den Kirchhof. Langsam schloß sie das eiserne Gittertor hinter sich.
    Mit zögernden Schritten trat Royal den Heimweg an. Wenigstens das Vaterhaus erwartete sie wie ein vertrauter Freund und verhieß Warme und Trost. Als sie langsam die breiten Stufen hinaufstieg, wartete Alba oben bereits auf sie. Der Ausdruck des faltigen Gesichts verriet Bekümmertheit. Erleichtert warf sich Royal in die Arme der Haushälterin.
    Leiser Tadel klang in der Stimme der ältlichen Frau mit, als sie zu der jungen Herrin sagte: „Sie sind ja bis auf die Haut durchnäßt, Miss Royal, und werden sich den Tod holen, wenn Sie nicht schleunigst aus den triefnassen Kleidern kommen.“
    Gehorsam ließ sich Royal von Alba hinaufführen, sich ausziehen und ein weißes Nachthemd überstreifen. Die Haushälterin schlug die Decke auf dem Bett zurück, und Royal schlüpfte zwischen die Laken. Während Alba eifrig damit beschäftigt war, die nasse Pelerine auszuschütteln und über einen Stuhl am Kamin zum Trocknen aufzuhängen, hielt sie ein wachsames Auge auf die junge Herrin gerichtet. Wenn es nur die richtigen Worte gegeben hätte, dieses Kind zu trösten. Die feuchten goldblonden Locken umrahmten wirr das Gesicht. Wie verloren lag die schmale Gestalt auf dem breiten Mahagonibett. Dennoch zeichnete sich schon jetzt die künftige Schönheit in den regelmäßigen Gesichtszügen ab. An den langen Wimpern glitzerten Tränen, die blauen Augen trugen den Ausdruck tiefster Trauer.
    „Seien Sie ganz getrost, Miss Royal“, sagte Alba behutsam.
    Royal schien keinem Trost zugänglich. „Ich wollte“, sagte sie undeutlich, „ich wollte, Tante Arabella käme endlich. Was mag sie bloß abhalten?“
    Die Haushälterin wandte sich ab und ging zur Tür. „Ich weiß es nicht“, versetzte sie vergrämt. „Aber Sie sollten versuchen, ein wenig zu schlafen, Miss Royal.“
    Müde vom Weinen, kuschelte sich Royal in die weichen Kissen und schloß die schmerzenden Augen. Die Zukunft tat sich wie ein düsterer Abgrund vor ihr auf, und die Gegenwart war zu traurig, um sich länger damit zu beschäftigen. Royal war zu müde, sich dagegen zu stemmen, und das Herz tat zu weh, um klare Gedanken zu fassen. Vielleicht brauchte sie wirklich erst einmal etwas Ruhe.
    Die rauchblaue Abenddämmerung wich einer tiefschwarzen Nacht. Royal überließ sich der beruhigenden Warme und glitt in einen unruhigen Schlaf, nachdem sie auch die letzte Eintragung in dem Tagebuch überlesen hatte.
     
    Liebster Papa,
    immer noch warte ich vergeblich auf Tante Arabella. Statt ihr sind Cousin Victor und seine Familie eingetroffen und tun so, als wollten sie für immer in Savannah bleiben. Ich werde mir Mühe geben, höflich zu sein, und ich werde immer tun, was Du von mir erwartest. Aber ich verzweifle bei dem bloßen Gedanken, daß diese überheblichen Menschen vielleicht meine Zukunft bestimmen könnten*Menschen, die sich aufspielen, als wären sie es, die Dir eine Gnade erwiesen, indem sie hierhergekommen sind.
     
    *
     
    Die Stimmung im Speisezimmer war gespannt. Selbst Alba bediente mit zusammengekniffenen Lippen, wie Royal bemerkte. Offensichtlich konnte sie Cousin Victor tatsächlich nicht ausstehen, denn sie zog sich sofort nach dem Auftragen der Speisen und Getränke zurück. Schweigend beobachtete Royal die Menschen, die mit ihr zu Tische saßen.
    Victor Bradford war ein stattlicher Mann, mittelgroß, mit etwas schütterem Haar und einer Hakennase. Er machte den Eindruck, als läge er mit sich selbst im Streit, und hatte die schlechte Angewohnheit, wenn er mit einem sprach, an einem vorbeizusehen. Royal fand es äußerst unangenehm, daß er sich ungefragt am Kopf der Tafel auf den Platz ihres toten Vaters gesetzt hatte.
    Victor Bradfords Gattin Mary thronte ihrem Mann gegenüber, eine hochgewachsene magere Frau mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Sie sagte kaum ein Wort, und wenn sie den Mund auftat, redete sie so leise, daß man sich nah zu ihr beugen mußte, um überhaupt etwas zu verstehen. Um die Lippen lag ein gequälter Zug, selbst das Lächeln wirkte

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