Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Routhland warf den Kopf in den Nacken und schaute den Sekretär unmutig an. „Das ist geradezu grotesk. Bradfords Krankheit muß ihm den Verstand benebelt haben.“ Völlig verblüfft las Routhland weiter.
Sie müssen sich nicht verpflichtet fühlen, diese Vormundschaft zu übernehmen, da Miss Royal Bradford noch Blutsverwandte besitzt.
Eine Tante, Miss Arabella Bradford, die Schwester des Toten, lebt in Paris, und Mr. Victor Bradford, ein Vetter väterlicherseits, hat sich bereits an mich gewendet. Mir scheint, daß er sogar sehr gern Royal Bradford im Kreise seiner eigenen Kinder erziehen würde.
Wenn es Ihnen angemessen erscheint, darf ich Sie ersuchen, bei der Testamentseröffnung am kommenden Freitag um vier Uhr im Hause des Verblichenen anwesend zu sein.
Bis dahin …
Damon Routhlands Miene hatte sich verfinstert. Mit zusammengekniffenen Augen las er noch einmal den Teil über Arabella Bradford. Alte Erinnerungen drängten sich ihm auf, schmerzliche, halb vergessen geglaubte. Arabella hatte also all die Jahre seither in Frankreich verbracht und würde nun nach Savannah zurückkehren, um die Vormundschaft über ihre junge Nichte zu übernehmen. Es kam Routhland nicht zu Bewußtsein, daß er inzwischen den Brief des Anwaltes Greenburg in der Faust zusammengeknüllt hatte.
Nach so langer Zeit würde er jetzt Arabella wiedersehen. Ob sie sich sehr verändert hatte? Gewiß hatte das unstete Leben der gefeierten Schauspielerin Spuren in dem schönen Gesicht hinterlassen. Er versuchte sich die regelmäßigen Züge von damals nun faltig vorzustellen, das flammend rote Haar von grauen Strähnen durchzogen. Acht Jahre waren eine lange Zeit, vor allem für eine Frau in Arabellas Alter. Er überlegte. Sie mußte inzwischen etwa um die Mitte Dreißig sein.
Dem jugendlichen Hitzkopf hatte es nichts ausgemacht, daß Arabella zehn Jahre älter war als er. Fast verächtlich dachte er, wie kindisch jung und töricht man doch mit siebzehn war. Wie schnell hatte er sein Herz an die wunderschöne und hemmungslose Arabella verloren? Und wie erbarmungslos hatte sie mit ihm gespielt, ihn gequält, sobald er ihr seine Liebe gestanden hatte?
Er blickte auf den Sekretär, der ihn mit einem Ausdruck der Erwartung beobachtete.
„Ich werde natürlich auf jeden Fall bei der Testamentseröffnung anwesend sein. Notieren Sie das Datum, und kümmern -Sie sich darum, daß ich es nicht vergesse.“
Als ob er das überhaupt könnte! Immerhin hatte die Schauspielerin damals alle seine Gedanken erfüllt. Als wäre es erst gestern gewesen, stand die Erinnerung an jene Nacht, in der er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, vor seinem geistigen Auge. Sie hatte nur darüber gelacht. Bald würde er ihr wieder gegenüberstehen. Diesmal war er freilich nicht mehr jung und unerfahren, sondern ein Mann. Die Sorge um Royal Bradford war ganz in den Hintergrund getreten, denn Damon Routhland konnte an nichts anderes denken als an Arabella.
*
Alba Beemish strich eine weiße Haarsträhne unter die gestärkte Haube und wandte sich mit einem Ausdruck äußerster Mißbilligung an ihren Mann.
„Was soll nun bloß aus Miss Royal werden?“ fragte die Haushälterin. „Natürlich paßt sie unter keinen Umständen zu Miss Arabella.“ Etwas wie blankes Entsetzen stand in Albas Augen. „Ausgerechnet eine Schauspielerin! Es gehört sich einfach nicht, daß die Erziehung der jungen Herrin in den Händen einer solchen Frau liegen solle.“
Tobias Beemish wich dem anklagenden Blick seiner Frau aus. „So schlimm ist es auch nicht mit Miss Arabella, und überdies hat sie das Mädchen herzlich gern.“ Die Stimme klang wie immer sanft und paßte zu seiner umgänglichen und ungezwungenen Art. „Unsere kleine Miss Royal hat in diesem vergangenen Monat genug Schweres durchgemacht. Jetzt braucht sie gewiß den Trost ihrer Tante.“
„Schöner Trost“, grollte Alba. „Du bist genau wie alle anderen Männer, sobald es um ein hübsches Lärvchen geht. Du wirst doch nicht allen Ernstes behaupten wollen, daß Miss Arabella ein gutes Beispiel für Miss Royal sein könnte? Weiß der Himmel, welcher verderbten Umgebung das Kind in der Gesellschaft dieser … dieser Schauspielerin ausgesetzt wäre.“
Tobias wußte, wie unklug es wäre, seiner Frau gegenüber Partei für Arabella Bradford zu ergreifen. Versöhnlich lenkte er daher ein. „Da gibt es doch auch noch diesen Cousin väterlicherseits, der jetzt das Familienoberhaupt ist. Wahrscheinlich wird er
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