Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
nicht, solange es um Preston Seaton ging. Seine Familie vertraute ihr, und sie würde alles tun, die in sie gesetzten Hoffnungen nicht zu enttäuschen. Koste es, was es wolle. Sie erinnerte sich nun auch, wie vermessen sie sich Damon Routhland genähert hatte, wie gedankenlos sie ihn gequält, seine Begierde angestachelt hatte. Was hatte nur dazu geführt, daß sie sich so schamlos benahm?
Verzagt schluchzte sie auf. Wie sollte sie es wagen, Damon Routhland jemals wieder unter die Augen zu treten? Sie konnte nur beten, daß er niemals ihre wahre Identität herausfinden mochte. Was mußte er bloß nach dieser Nacht von ihr denken, in der sie sich so hatte gehenlassen?
Nun war es auch ganz klar: Sie war nicht allein wegen Preston Seatons Freilassung nach Georgia gesegelt. Nicht um seinetwillen hatte sie Damon Routhland aufgesucht. Im Innersten hatte sie den Wunsch genährt, ihn endlich wiederzusehen und bei ihm zu sein. Er sollte sie in die Arme schließen und sie begehren …
Mit einer heftigen Bewegung verschloß Royal das Tagebuch in einem der Reisekörbe. Von nun an gehörte es der Vergangenheit an. Sie war nicht länger ein Kind, das sich alle Kümmernisse vom Herzen schreiben konnte. Sie war eine Frau, die einer gänzlich ungewissen Zukunft entgegenging.
Natürlich konnte Royal nicht ahnen, daß sich Damon Routhland ihretwegen mindestens ebenso viele Gedanken machte, als er aus Charles Town hinausritt. Er war dem Weg zu seiner Truppe, die in der Ebene lagerte. Immer wieder beschwor er in der Erinnerung die so eigenartigen und erregenden Vorgänge der Nacht herauf, die sich jetzt ihrem Ende zuneigte. Nie zuvor war er einer so schönen und begehrenswerten Frau begegnet, nie einer, die ihm so in allen Sinnen lag, und ganz gewiß keiner, die derart vom Hauch des Geheimnisses umgeben war wie diese Unbekannte, die behauptete, ihn seit langem zu kennen.
Sie war zu ihm gekommen, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Wahrscheinlich hätte er ihr in dieser Stimmung jeden Wunsch bedingungslos erfüllt, hätte der Adjutant sie nicht gestört. Damon Routhland mußte die schöne Fremde unter allen Umständen wiedersehen. Zu viele Fragen standen noch unbeantwortet zwischen ihm und ihr.
*
Wunderbare Kindheitserinnerungen überfielen Royal Bradford, als sie auf die Stufen zu ihrem Vaterhaus trat. Hier schien der Krieg keine Spuren hinterlassen zu haben. Der Rasen war sorgfältig geschnitten. Auch die Hecken. Die grünen Fensterläden waren sogar frisch gestrichen. Tobias und Alba Beemish hatten alles vorzüglich instand gehalten.
Royal blieb stehen und atmete den Duft der Blumen ein, die im Vorgarten blühten, blickte auf den Maulbeerbaum, den ihr Vater immer so sehr geliebt hatte. Alles war unverändert und vertraut. War denn nur mit ihr selbst ein Wandel vorgegangen? Am liebsten wäre sie einfach hineingelaufen, aber sie wollte die beiden alten Leute nicht erschrecken, indem sie unerwartet auf der Schwelle erschien. So setzte sie den Klopfer in Bewegung und wartete.
Alles blieb still. Nichts regte sich im Haus. Nach einer Weile pochte Royal von neuem. Diesmal dauerte es nicht lange, bis die Tür aufschwang und Tobias die Besucherin neugierig musterte.
„Was kann ich für Sie tun, Ma …“ Er verstummte und musterte sie forschend. Dann erhellte ein freudiges Lächeln das faltige Gesicht. „Miss Royal, sind Sie es wirklich? Allmächtiger, ja, Sie sind es.“
Sie streckte ihm beide Hände entgegen. „Ich bin froh, daß Sie mich noch erkennen, Tobias. Es wäre kein schöner Empfang gewesen, für eine Fremde gehalten zu werden, obwohl ich mich seit meiner Ankunft manchmal so fühle.“
Er machteeinen Schritt zur Seite, um sie eintreten zu lassen. „Ich glaube, ich würde Sie immer erkennen, Miss Royal. Wir hatten keine Ahnung, daß Sie heute kommen würden, sonst hätten wir alles im Haus für Sie vorbereitet.“ Er strahlte vor Freude. „Wie haben wir diesen Tag herbeigesehnt, Miss Royal!“
Drinnen in der Halle bemerkte sie die Leinenüberzüge zum Schutz der Möbel und fragte: „Wo ist Alba?“
„In der Küche. Gewiß bereitet sie schon das Essen. Ich will gleich einmal gehen und sie rufen. Nein, wie wird sie sich erst freuen!“
„Wen haben wir denn da?“ Alba steckte den Kopf durch den Türspalt. „Ich wußte nicht, daß wir Besuch haben.“ Sie schaute Royal mit zusammengezogenen Brauen an.
„Kennst du sie denn nicht mehr, Alba?“ erkundigte sich Tobias und weidete sich sichtlich an der
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