Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Verwirrung seiner Frau.
Sie kam näher und kniff die Augen zusammen. „Ich sehe längst nicht mehr so gut wie früher.“
„Ich bin es doch, Royal.“
Jähe Freude zeichnete sich in Albas Zügen ab. „Miss Royal? Nein, das ist nicht möglich.“
„Ich bin heimgekehrt, Alba.“
„Welch ein Freudentag“, rief sie. „Mein Gott, wie haben wir darauf gewartet.“
Royal ergriff Alba bei den Händen und sah sich in dem so vertrauten und gewohnten Raum um. „Es tut gut, wieder zu Hause zu sein“, sagte sie leise.
Die Haushälterin mußte zurück an die Arbeit und wandte sich zur Treppe. Nur Tobias bemerkte, wieviel flinker seine Frau auf einmal ging, hörte den jubelnden Unterton, als sie ihn zum Eingang drängte.
„Steh nicht herum, Tobias“, rügte sie. „Hol Miss Royals Gepäck herein. Spute dich. Nun, da die junge Herrin wieder da ist, gibt es genug zu tun.“ Strahlend schaute sie Royal an. „Sie sind ebenso schön wie Ihre Mutter, Miss Royal. Und jetzt müssen Sie von der Reise hungrig und durstig sein oder erschöpft?“ plauderte sie drauflos. „Kommen Sie gleich hinauf. Auch wenn alles im Haus noch abgeschlossen ist, so war doch Ihr Zimmer die ganze Zeit für Sie bereit, gelüftet und frisch gerichtet.“
Royal nahm den Hut ab und ging neben der Alten die Treppe hinauf, ohne zu hören, was sie sagte. Es tat so wohl, wieder zu Hause zu sein. Sie erinnerte sich an das letzte Mal, da sie hier gewesen war. Damals war sie ein verschüchtertes, elternloses Kind gewesen. Als junge Frau war sie zurückgekehrt.
Am späten Abend erschien dann noch eine Ordonnanz des Oberbefehlshabers der britischen Truppen, Colonel Campbell, und überbrachte Miss Royal Bradford ein Schreiben.
Ich bedaure unendlich, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Seine Durchlaucht, der fünfzehnte Duke of Chiswick, bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen ist. Deshalb ist höchste Eile geboten, Lord Preston Seaton ausfindig zu machen, der nun durch das tragische Hinscheiden seines Bruders selbst Duke of Chiswick geworden ist Sollte dies denjenigen zu Ohren kommen, die ihn in ihrer Gewalt haben, fürchte ich sehr, daß sie ihn als Geisel zu ihren Zwecken ausnutzen werden.
Zählen Sie auf mich, Sie sind meiner vollen Unterstützung gewiß, wie auch immer die beschaffen sein mag. Mein Vertrauter steht Ihnen nach wie vor zur Verfügung, sobald Sie Wagen und Kutscher brauchen.
Ihr sehr ergebener Colonel Archibald Campbell.
Traurig erhob sich Royal und ging zum Kamin. Der Brief sollte nicht in unberufene Hände fallen. Deshalb zerriß sie ihn in kleine Stücke und streute sie ins Feuer, sah zu, wie sie langsam zu Asche wurden. Obwohl Royal den Duke nicht besonders gut gekannt hatte, dachte sie bekümmert an Alissa und die Dowager Duchess. Wie mochten sie unter diesem neuen Schicksalsschlag leiden? Ja, Colonel Campbell hatte recht, nun galt es zu handeln. Noch mehr als bisher konnte Prestons Leben von Royals Handeln abhängen.
*
In der Nähe von Charles Town, North Carolina
Beim ersten Sonnenstrahl erwachte das Feldlager zu geschäftigem Leben. Alle fünfzig Schritte waren Wachen aufgezogen und beobachteten aufmerksam die kleinste Bewegung in der Ebene, die etwa eine Annäherung des Feindes ankündigen könnte.
In einem Zelt standen einige Herren über eine Landkarte gebeugt und besprachen die wichtigsten Einzelheiten der gegenwärtigen Lage. Mit wachsender Bitterkeit waren sich die Offiziere der Tatsache bewußt, daß ganz Georgia so gut wie von den Briten besetzt war, die ihren Feldzug nach dem Süden hin ausgedehnt hatten.
Major Leaman und Colonel Routhland war es klar, daß sie kaum mehr tun konnten, als immer wieder einen Überraschungsangriff zu unternehmen, sich dann zurückzuziehen und um die Verwundeten zu kümmern. Die Regierung unter General Washington konnte keine Einsatzverbände nach Carolina schicken, ohne die nördlichen Schwesterstaaten dem Zugriff der Engländer auszusetzen. So stand nur zu hoffen, daß die Feinde die Königstreue der Bewohner des Südens überschätzt hatten. Auch wenn man kaum mehr wußte, wem man noch vertrauen konnte.
Ohne die Gewalt zur See zu haben, waren die in dem neuen Bund zusammengeschlossenen einstigen Kolonien ziemlich handlungsunfähig. Es blieb nichts übrig, als die einzelnen Regimenter einsatzbereit zu halten, um in einem günstigen Moment gemeinsam losschlagen zu können. Im übrigen betrachtete man den engsten Nachbarn mit deutlichem Argwohn, ob er nicht ein
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