Barakuda der Wächter 03 - Die Freihändler von Cadhras
Nordosten und Osten führten; Westen und Süden schieden aus.
Vermutlich handelte es sich, wie bei der Taggabahn, um je zwei gegenläufige Bahnen zwischen den gleichen Orten oder Gebieten. Wenn die bisherigen Annahmen stimmten, wenn es eine Bahn war, dann gab es bei zwölf Tunnels, gleich sechs Strängen zwischen Nordwesten und Osten, nur sechs sinnvolle Ziele, nämlich Ballungsgebiete; dorthin mußte jeweils die rechte Spur führen. Die Strecke nach Osten verlief vermutlich an der Küste nach Sa’orq. Nordöstlich von Sa’orq lag der Bereich der Königin von Kelgarla, Berge, Flachland und Küste am Ostrand des Kontinents. Der dritte Strang sollte nach Nord-Nordost führen, wahrscheinlich unter den Ländern Zheziri und Langladir hindurch – bis wohin? Der vierte genau nach Norden – allgemeine Richtung Gashiri? Der fünfte verlief vermutlich bis Golgit oder weiter, jedenfalls unterquerte er das Bergland der Golgishil. Der letzte nach Bu’ndai?
Als er so weit gekommen war, betrachtete er erneut die Symbole über den Bögen. Nun sah er, daß sie paarweise ähnlich, wenn auch nicht gleich waren, und fühlte sich in seinen Mutmaßungen bestätigt. »Wahrscheinlich«, knurrte er, »heißt das ›von Bu’ndai – nach Bu’ndai‹ und so.«
Er fluchte halblaut; der Klang seiner Stimme schien sich in der Halle auszubreiten wie das goldene Licht, sanft und gemächlich. Natürlich wollte er zurück nach Cadhras, zu Begheli und den anderen – aber wer hatte ihn entführt? Warum? Was war mit Learoyd und Oubou? Er konnte ja nicht davon ausgehen, daß man nicht auch versucht hatte, sie zu erwischen – vielleicht mit Erfolg. Dann hätte niemand alangra beschafft. Ob alles mit diesem seltsamen Stoff zu sammenhing? Hatte man ihn überfallen, weil er alangra ha ben wollte? Wußte man inzwischen, ob die plötzliche Handelsoffensive von Gashiri Teil einer Politik war? Wenn ja – welchem Zweck diente sie?
Allmählich traten, wie er mit Verwunderung feststellte, die persönlichen Fragen und Wünsche zurück. ›Wahrscheinlich‹, dachte Dante, ›bin ich viel zu lange in der Flotte und beim Sicherheitsdienst gewesen, um mich jetzt schon als Privatmann zu fühlen.‹ Er wollte noch immer nach Cadhras, heim kehren, aber Argumente gewannen die Oberhand über Wünsche. Mehr herausfinden – über diese U-Bahn und ihre Geschichte, über die Vorgänge auf dem Südkontinent, über mögliche Entwicklungen im Zusammenhang mit den AVs.
Er kam zu einem Entschluß und stand auf. Nirgends auf Shilgat gab es, soweit er wußte, Archive im herkömmlichen Sinn. Andererseits mußten die Heiler, wenn sie zum Beispiel eine solche Bahnstrecke wahren und nutzen wollten, über ältere Informationen verfügen – und hatte nicht der alte Saravyi mysteriöse Dinge aus der Vorgeschichte des Planeten gefunden und zum Teil eingesetzt?
Es mußte also irgendwo einen Wissensspeicher geben, gleich ob Museum, Archiv, Datenbank oder Wandzeichnung. Und wo ließe sich ein richtiges Archiv besser ver stecken als dort, wo schon ein anderes, unernstes existierte – in Sa’orq, dessen bekanntes Archiv nichts als Schelmenstreiche und Bizarrerien verzeichnete und 30000 planetare Jahre zurückreichte?
Er stellte Proviant zusammen. Es gab Beutel und lederne Feldflaschen. Dann versah er sich mit einer Armbrust, eini gen Schachteln mit Bolzen und einem Degen. Er warf alles auf den nächsten erreichbaren Wagen und schob ihn aus dem Abstellraum. Das Vehikel war leicht zu bewegen und nahe zu geräuschlos.
Der Wagen wies einen windschnittigen, verjüngten Bug auf; dahinter befand sich eine Art Fahrersitz mit einer Schutzscheibe aus dickem Glas. Vor der Scheibe war eine merkwürdige Vorrichtung angebracht: eine halbkugelförmi ge Versenkung, mit einer gekrümmten, polierten Metallscheibe. Dante grinste. Er hatte aufgegeben, sich über etwas zu wundern. Er lief in einen der ersten untersuchten Räume und holte eine der kleineren Kristallkugeln. Sie paßte genau in die Vertiefung und strahlte golden auf. Vor der Kugel entdeckte er im warmen Licht eine Höhlung im Bug, wie durch eine aufgebogene Kufe nach vorn abgeschirmt. Dort hinein stellte er eine kleine Tranlampe und entzündete sie.
»Nicht zu fassen«, murmelte er. Die Tranlampe, windgeschützt, brannte ruhig und lieferte jenes bernsteinfarbene Licht, das das Oberteil der halbversenkten Kugel aufnahm, vergoldete und verstärkte. Der polierte Metallspiegel war beweglich; nach vorn gerichtet reflektierte er das
Weitere Kostenlose Bücher