Barakuda der Wächter 04 - Die Gipfel von Banyadir
zehn zuviel.«
Barakuda dachte an die unterirdische Bahn des Südkontinents, die von solchen Kristallen erleuchtet war; an die unheimlichen Instrumente der Shil, mit denen das Tunnelsystem dort angelegt worden war; an Saravyi, der sie gegen Gashiri eingesetzt hatte. {14} Dann wanderten seine Gedanken von dem alten Mann, der nicht mehr lebte, zu Gortahork. Er riß sich zusammen und erklärte den anderen Cadhrassi flüsternd die Shil-Technik vergangener Jahrtausende. Alle hatten von diesen Dingen gehört, aber außer ihm, Tremug hati und Uahuan hatte keiner sie gesehen.
»Wahrscheinlich sind die Wände der Halle mit stabilisierter Energie verstärkt; wie die beiden Torbogen hinter uns«, sagte er abschließend. »Wer geht voran? Ah, dumme Frage. Warum nicht ich?«
Langsam, einer nach dem anderen, durchquerten sie mit möglichst leichten Schritten den Dom. Auch das leiseste Geräusch wurde von den Hohlsäulen aufgenommen und verstärkt. Als Shulamit as-Sabah sich hinter vorgehaltener Hand räusperte, brach ein Orkan über sie herein, und als die Schweber aus dem Gang in die Halle kamen, wurde das kaum wahrzunehmende Summen ihrer Generatoren zu ei nem Klangvorhang ähnlich dem, den ein gesundes Trommelfell hundert Meter von einem riesigen Wasserfall entfernt wahrnimmt.
Drei Stunden dauerte es, bis sie die Halle hinter sich hat ten. Alle, waren erschöpft, von Tönen betäubt, von Formen und Farben verstört. Durch einen Torbogen traten sie in einen regelmäßigen Gang mit runden Wänden, flachem Boden und flacher Decke. Er bestand aus jenem seltsamen milchigen Stein, von »Wandlern« geformter und mit stabilisierter Energie versiegelter Materie, der für die Ewigkeit gedacht schien. Alle hundert Schritte lagen Goldkristalle in Nischen. Nach kurzem Experimentieren löschten sie die Handscheinwerfer und verwendeten lediglich eine Fackel als Primärquelle. Das helle Lampenlicht wurde von den Leuchtkristallen zu fast unerträglichem Gleißen verstärkt und gleichzeitig zerlegt; es entstanden irritierende wabernde Farbwalzen. Mit den Bewegungen des Lampenträgers wanderte das grelle Kernlicht und durchsetzte sich mit geisterhaften Schlieren vor allem aus den dunkleren Bereichen des Spektrums.
»Nun beginnen die Korridore und Kammern der alten Anlage«, sagte der Heiler. »Wir werden bald in eine große Dreifachhalle kommen. Drei Hallen übereinander. Bis zu diesem Punkt ist die Heilerin, mit der ich geredet habe, vorgedrungen. Was dahinter kommt, weiß ich nicht. Sie hat von einem Fluß gesprochen, einer Katapultbahn und einem Röhrengewirr.«
»Was ist eine Katapultbahn?«
Ilahuan hob die Achseln. »Wir werden sehen. So, wie sie es beschrieben hat, könnte es eine Art unterirdische Taggabahn sein, bei der Wagen zu Beginn eine Steigung überwinden müssen und mit einem Katapult beschleunigt werden. Aber das ist alles sehr unsicher.«
Zwei Schlafzeiten später, nach zahllosen Gangkreuzungen und kleineren kahlen Hallen, erreichten sie den von der alten Heilerin beschriebenen Komplex.
Es war eine Mischung aus natürlicher Höhle und mittels Materiewandlung geschaffener Halle. Sie war grob kastenförmig. Der Gang kam aus einer Längsseite; die Wand war hier völlig kahl und rissig. An den schmalen Kopfseiten fan den sich Gebilde, bei denen unklar war, ob es sich um Statu en und Darstellungen oder reliefartige Schaltanlagen mit symbolischen, abstrakt humanoiden Tragelementen handelte. Zwischen den einzelnen Teilen lagen in Nischen und auf Sockeln Leuchtkristalle.
An der gegenüberliegenden Längsseite öffnete sich ein großer Tunnel. Zunächst war nicht auszumachen, was sich dahinter verbarg; von irgendwo kam mächtiges Rauschen. Tremughati wies nach oben: Vielfarbige Hohlsäulen hingen von der hohen Decke der Halle. Sie glichen den Stalaktiten des gewaltigen Doms, den sie passiert hatten, waren aber offensichtlich keine Tropfsteine, sondern Ergebnisse von Materiewandlung. Milchige Treppen führten an den Kopfwänden aufwärts; hinter einem Vorhang oder Gatter von hängenden Hohlsäulen waren Tunnelöffnungen zu sehen, zwei übereinander.
Das ruhige, stetige, warme Goldlicht in den Korridoren hatte in den letzten Tagen auf alle eine besänftigende Wirkung ausgeübt. Barakuda war es schwergefallen, Rachegedanken zu denken, und Trauer, Zorn und Entsetzen hatten einer beinahe milden Gelassenheit Platz gemacht. Nach und nach war Tremughati aus ihrer Erstarrung herausgetreten; in die schwarzen Augen kam wieder dunkles
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