Barakuda der Wächter 1&2 - Pasdan (Die Waffenschmuggler von Shilgat & Die Mördermütter von Pasdan)
einem Einschnitt; sie durchkletterten die Enge und stiegen in den Kessel hinab. Dort schienen sich Luft und Zeit zu stauen.
In der gespenstischen Lautlosigkeit hörten sie weder den eigenen Atem noch die eigenen Schritte. Später fragten sie sich (und einander), ob Erschöpfung und Zweifel sie vielleicht nicht betäubt, sondern besonders aufnahmebereit gemacht hatten. Sie empfanden, daß sie ins Zentrum der konzentrischen Reihen versteinerter Gestalten gehen sollten.
Sie ließen sich auf dem glasierten Boden nieder. Um sie herum saßen die Heilerinnen und Heiler der Shil, die Häupter des Nordens. Barakuda überflog die Reihen; das, dachte er, können nicht alle sein.
Es sind Alle. Nicht nur aus dem Bereich, den ihr Nordkontinent nennt, auch die aus dem Süden und die von den Inseln.
Die Stimme sprach in ihren Köpfen. Etwas wie eine kraftvolle Aura hüllte sie ein, und sie waren für Momente Teil der Einheit. Tremughati war dabei und Gortahork und Saravyi, und doch waren sie weit fort.
Nur einmal sind Alle leiblich hier versammelt gewesen. Das war, als wir beschlossen, die Stadt, die ganz Shilgat war, und die Maschinen aufzugeben. Und die Gleichheit wieder in der Vielfalt zu leben. Und die Verwirrung des Regelwerks für Alle in das klare Chaos für Jeden heimkehren zu lassen.
(Tremughati:) Die beiden letzten Treffen dienten der Vorbereitung des heutigen. Das erste beriet über die Bedrohung durch Pasdan, Gashiri und Banyadir und erdachte einen Plan. Das zweite billigte das Abkommen mit dem Commonwealth.
(Dante:) Welchen Plan?
(Lydia:) Einen Plan, der noch immer gilt?
(Gortahork:) Er gilt, und wir erfüllen ihn. Ihr, indem ihr am Heiligen Ort seid und bald tun werdet, wovor ihr euch fürchtet; andere auf andere Weise. Die Einheit spreche.
So erfuhren sie, daß es keine Einheit, sondern eine Vielheit war, in der nichts verlorenging. Sie erfuhren die Pläne von Pasdan und die lange vorbereiteten Gegenmaßnahmen der Häupter, und daß ihr fantastischer Plan Billigung fand.
Wir werden helfen. Über Pasdan wird eine Aura dessen liegen, was ihr ›Gläubigkeit‹ nennt.
Lydia dachte eine schwierige Frage. Ordnung ist die Versklavung aller Einzelheiten des Lebens durch einen beliebigen von ihnen. Philosophische Ordnung, staatliche Ordnung, die Ordnung von Pasdan. Ihr seid doch ebenfalls eine Ordnung?
Wir schämen uns, des Chaos nicht würdig zu sein. Aber wir wissen, daß die vielen selbsterdachten Ordnungen nicht wahr sind, sondern Spiel, deshalb doch Chaos und ungeeignet, Spieler, die andere Spiele spielen, zu verachten oder zu bekämpfen.
(Dante:) Was soll am Ende geschehen? Mit den Müttern? Mit Großer-Töter?
Was eure Gerechtigkeit für Pasdan sagt, soll geschehen. Was wollt ihr, daß mit Großer-Töter geschehe?
(Lydia:) Er ist ein Schwein. Was soll mit Schweinen geschehen?
Was ist ein Schwein?
Lydia dachte ein Schwein.
(Dante:) Er ist ein reißender Wolf.
Was ist ein Wolf?
Dante dachte einen Wolf.
(Die Einheit kicherte; zahllose alte Shil kicherten in einem einhelligen Gedanken. Dann:) Es soll geschehen, wie ihr meint.
Als Dante morgens aus dem Fenster seines Wohnraums über den Hafen blickte, lag ein klammer Dunstschleier über Meer und Küste. Barakuda erschien dieses Winterwetter dem Tag und der Mission angemessen.
Sie frühstückten schweigend. Als er seine Morgenzigarette anzündete, seufzte Leontia leise.
»Wenn das alles vorbei ist, gehe ich zurück nach Gaia.«
Er nickte. »Ich habe es mir gedacht.«
»Und du? Hast du dich entschlossen?«
»Ja. Moment.« Er stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. »Nachtarbeit«, sagte er, als wolle er sich entschuldigen.
»Du warst doch müde - hast du nicht schlafen können?«
»Nur in Streifen.«
Er reichte ihr ein mit wenigen Zeilen beschriebenes Papier. Sie las halblaut.
»›Dante Barakuda, Oberstleutnant im Sonderdienst, bittet bei Entlassung aus dem Dienstverhältnis um Abfindung. Wegen der gestörten Verbindungen nach Gaia richte ich das Gesuch an das Gouvernement zu Cadhras. Cadhras, Shilgat, 5. IV. 29.484 Sa’orq/12. März 467.‹ Das Datum von gestern.«
Lydia Hsiang nahm sein Abfindungsgesuch entgegen. Sie schien ausgeschlafen und unbewegt.
»Soll ich es gleich billigen, Dante?«
»Es wäre mir sehr lieb.«
»Warum die Eile?«
Er grinste halb spöttisch, halb melancholisch. »Damit für alle Fälle die Abfindung ins Testament eingeht.«
Sie lächelte. »Haben Sie ein Testament gemacht?«
Nun grinste er sehr breit.
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