Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
standen sowohl an den vier Ecken der Bühne als auch in der Mitte jeweils zwischen zwei Ecken bereit, den aufbegehrenden Körper eines möglicherweise Widerständigen aus sämtlichen Richtungen gleichzeitig mit Bolzen zu spicken und zum Stillstand zu bringen.
Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen hatten sich allenfalls fünfzig Schaulustige vor der Bühne versammelt. Die Sitztribüne für die Ehrengäste war lediglich zu einem Drittel besetzt. Kaum Damen waren unter den Anwesenden. Einer der Zuschauer bohrte hingebungsvoll in der Nase, zwei andere schmatzten eben erstandene Äpfel. Drei schwatzten angeregt miteinander, ohne dem Geschehen auf der Bühne allzu viel Aufmerksamkeit zu gönnen.
Es war seltsam.
Der Mann, der hier hingerichtet werden sollte, war zweifelsohne eindrucksvoll. Die langen Haare hatte man ihm im Gefängnis geschoren, sodass sein klar geschnittenes Gesicht mit den düsteren Augen jedermann zur Betrachtung freistand. Sein Körper war von Blutergüssen und den unansehnlichen Quetschungen und Überdehnungen der Folter gezeichnet, schien jedoch ansonsten ausschließlich aus vollendet modellierter Muskulatur zu bestehen, keine Knochigkeit, kein Fett, keine Anzeichen von Alter. Narben trug er wie Insignien der Unbeugsamkeit.
Zwei der wenigen anwesenden Frauen tuschelten sich zu, dass der Gefangene »durchaus interessant« sei, wenn auch auf eine »beunruhigende, abstoßende Art und Weise«.
Sein Sterben zog die Massen nicht mehr in Bann.
Es war, als hätte er seiner steckbrieflichen Verfolgung so lange widerstanden, dass die Aufmerksamkeit, welche die Menschen dieses Landes einem derartigen Vorgang entgegenzubringen in der Lage waren, aufgebraucht war.
Es war, als hätte er seinen eigenen Ruhm bereits überlebt.
Und als wäre ihn sterben zu sehen schon beinahe etwas Lästiges. Etwas, das vor geraumer Zeit schon hätte passieren müssen, das nun jedoch sämtlichen Beteiligten eher als etwas Unangenehmes erschien.
Es sprach kein Triumph aus den Gesichtern der Büttel, die zu viele ihresgleichen verloren hatten beim Versuch, dieses einzigen Mannes habhaft zu werden. Es sprach kein Triumph aus dem Gesicht des Stadtschreibers, der mit leiernder Stimme eine schier endlose Liste von Vergehen herunterspulte, dominiert von einer ermüdenden Aufzählung der Namen erschlagener Büttel. Und es sprach kein Triumph aus dem Gesicht des Henkers, denn der trug, wie es neuerdings in Mode gekommen war, die ursprünglich einem einzigen, inzwischen ums Leben gekommenen Berufskollegen vorbehaltene Maske des Gleichgültigen Jünglings.
Dieser Tod war einer, der hinter sich gebracht gehörte.
Weil der Krieg mit den Wäldern sich ausweitete.
Und weil es Wichtigeres gab in den vielfältigen Alltagen der Städte. Deshalb schwatzten die Zuschauer oder popelten und aßen.
Der Barbar betrachtete dieses kümmerliche Szenario und beschloss, dass er so nicht sterben wollte.
Er war schon beinahe bereit gewesen aufzugeben. Die lange Haft hatte ihn zermürbt, das Drehkreuz ihn schwindelig gemacht, die vielen sinnlosen Fragen waren durch seine Ohren einwärts gekrochen wie Käfer, die sich im Hirn einnisten wollen. Seine Muskeln fühlten sich gezerrt, teilweise sogar gerissen an. Mehrere seiner Rippen waren durch Schläge mindestens angeknackst. Zuletzt hatte man ihm nichts zu essen und zu trinken mehr gegeben, aber irgendetwas stimmte auch mit seinem Geruchssinn nicht mehr. Eigentlich hätte ihm angesichts der Marktplatzbuden das Wasser im Mund zusammenlaufen müssen, aber er roch nichts außer dem Bierschweiß eines schon lange verscharrten Folterers.
Er betrachtete die Zuschauer mit ihren dicken Nasen, ihren in Fettwülsten triefenden Augen, ihren Pickeln, dem gezierten Geschnatter, den Wänsten, den Wülsten, den speckigen Ärmchen, den breit gesessenen Ärschen, den nach Mode geschnittenen Haaren, den feinen Gewändern mit frischen Speiseflecken. Er sah hager gaffende Schwächlinge und feiste Witzbolde. Er sah Halbkahle, Flaumbärtige, Segelohren, Hängebrüste, Doppelkinne, Faltenhälse, Plattfüße, Silberblicke, zusammengewachsene Augenbrauen und schiefe oder überlange Zähne. Er sah Mundgeruch und übersatte Magenfäulnis, er brauchte gar nichts riechen zu können.
Er schüttelte langsam den Kopf, auch, um seine ermüdeten Sinne wach zu bekommen.
Diese Menschen waren es nicht wert, dass er von ihnen getötet wurde. Er war keine flüchtige Zerstreuung für Nichtswürdige.
Er war gezeugt und geboren worden in den
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