Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Stelle des Kreuzes. Eingeweide quellen glänzend hervor und verstärken den Gestank.
Man springt ihn an. Gegen ihn.
Er wehrt sich. Dreht sich. Windet. Schlägt um sich mit dem Kreuz. Brüllt.
Gefangene sprengen Türen auf. Quellen kläffend nach draußen.
Gänge wimmeln.
Büttel knüppeln. Blut.
Raserei.
Durst.
Wilde Tiere, keifend und jaulend.
Er findet ein Wasserbecken, darin die Folterer sich die Hände waschen. Er rammt sein Gesicht hinein, in kühlen Schmutz und Linderung, und trinkt. Säuft alles leer, leckt hinterdrein.
Man schlägt ihn unterdessen, er achtet nicht darauf.
Man zerrt an dem Kreuz, hängt sich daran. Macht Klimmzüge.
Er kippt. Der Durst ist besser jetzt. Er grinst wie betrunken.
Ein Gefangener wird von Spießen durchbohrt. Weint nach seiner Mutter. Einen anderen zerren sie an den Haaren zurück. Aber sie sind selbst am Ende ihrer Kräfte, die Büttel. Sie machen den Eindruck von Verzweifelten.
Der Spötter lacht und lacht und lacht.
Niemand kann ihn zum Schweigen bringen.
Der Barbar jedoch hat aufgehört zu brüllen.
Er bahnt sich einen Weg, das Kreuz schlägt links und rechts gegen Wände, er schleift sich hindurch. Niemand nimmt ihm die Fesseln ab. Er rennt. Rennt durch einen langen Gang, der sich aufwärtsschraubt. Gefangene kriechen vor und hinter ihm ins Freie. Zum Licht.
Dort jubelt man. Die Akademie applaudiert. Die schlauen Mädchen mit ihren üppigen Brüsten. Sie lachen und winken.
Man krönt ihn.
Man krönt ihn zum König.
Alles lacht.
Setepenre sinkt in seine Arme. Ihr fehlen die Zähne. Sie grimassiert.
Und das ist natürlich Blödsinn.
Er lag unter dem Kreuz, das irgendwie gebrochen war. Der Mann, der nach Bier roch, lag unter ihm und ängstigte sich. Der Barbar fasste mit den Zähnen nach seinem Kehlkopf, beinahe sorgfältig und zärtlich machte er das. Dann biss er durch.
Sprudelndes Gebrüll.
Gelächter.
Man schlug ihn.
Man schlug ihn bewusstlos, während der Spötter lachte.
Es vergingen noch wenige Tage.
Den Spötter brachte man um.
Man fand nicht genug, das man gegen ihn in der Hand hatte, aber man konnte sein Singen und Lachen und Predigen nicht mehr ertragen, also schickte man jemanden mit einem Obstschälmesser zu ihm hinein, und der machte alles still.
Niemand vergriff sich mehr am Barbaren.
Niemand drehte ihn. Das bedauerte er. Die Welt war wieder oben und unten, und er hing irgendwie außerhalb von ihr.
Der Durst kam zurück und war noch stärker als zuvor. Der Blutgeschmack in seinem Mund schien alles nur zu verstärken. Die Erinnerung ans Trinken half auch nichts.
Niemand sprach mehr oder schrie.
Der Morast war verstummt, als hätte der Barbar dem gesamten Ort den Kehlkopf herausgerissen.
Und dann kam man und packte ihn und machte ihm Vorwürfe, und man band ihn los und legte ihm eine Kette an, und man schleifte ihn raus, zum Richtplatz, und sein Kopf nickte dabei wie ein Korken, der auf Wasser tanzt.
VeRWeiGeRN
Was für ein sonniger Herbsttag das war!
Es gab eine neue Bühne, eine neue Menge, neue Buden, ein neues, mit Tüchern verkleidetes Sitzbankgerüst, einen neuen Henker, einen neuen Stadtschreiber, neue Büttel, eine neue Anklageschrift, mit neuer Stimme verlesen. Nur die Kapuze des Delinquenten hatte man diesmal weggelassen. Er war von den Steckbriefen bekannt. Die Menschen sollten sehen können, dass es der Richtige war, dass der Spuk nun ein Ende hatte, dass das Gesetz siegte, die Machthabenden sich nicht lange zum Narren halten ließen und sämtliche Ordnung wiederhergestellt wurde, in jedem Fall, wenn nicht gleich gestern, so doch heute.
Es waren bei Weitem nicht so viele Zuschauer wie beim letzten Mal. Man hatte nämlich noch nicht völlig vergessen, was beim letzten Mal, in einer anderen, wenngleich nahe gelegenen Hochstadt, vorgefallen war. Der Delinquent war entkommen und hatte auf das Schrecklichste gewütet. Frauen, Kinder, Obstverkäufer hatte er niedergetrampelt und -geschlagen, ohne den geringsten Unterschied zu machen. Es war eine Geschichte, die man sich nur unter Schaudern erzählte.
Diesmal war das ausgeschlossen. Der Delinquent trug eine Kette um Hals und Hände, an der man ihn zuerst zu zehnt führte, eine Kette, die dann an einem großen Eisenring festgemacht wurde, der in der Mitte der Bühne verschraubt war. Diesmal hätte der Delinquent also keinen Auslauf, selbst wenn es ihm gelänge, der Henkersaxt zu entgehen und diese sogar irgendwie an sich zu bringen. Insgesamt acht Armbrustschützen
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