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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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ihnen stürzten sich auf ihn, als er – selbst als ein Vorüberziehender von freundlich angetrunkenen Bauern auf ihr Hochzeitsfest geladen – zu Tische saß und aß. Diejenigen, die hinterher noch lebten, krochen zu den Frauen zurück und ernteten nichts als Verachtung.
    Das Kopfgeld auf den Barbaren stieg und stieg. Nun hatte er auf einer ländlichen Heiratsgesellschaft in einem unübersichtlichen Tumult den Trauzeugen erschlagen. Boten ritten durchs Land, um auf den Steckbriefen die ausgeschriebene Summe durch eine höhere zu überkleben.
    Der Barbar, der auch keine Zahlen lesen konnte, kämpfte weiterhin ausschließlich gegen sein Bild.
    Den letzten Angriff unternahmen die verbliebenen Kerils – sechs Frauen noch und drei Männer, von denen einer verwundet war – an einem von sturmhohen Wellen gepeitschten Strand. Sie bewarfen ihn und sein Pferd aus allen Richtungen mit scharfkantigen Muscheln und suchten ihn so ins Wasser und ins Ertrinken zu treiben. Doch sein Pferd wurde noch rasender als er, schlug sich mit den Hufen eine Bresche durch die Kerilfrauen und suchte blutend mit dem Barbaren das Weite. Es verendete drei Tage später. Die letzten Kerils fanden keine Kraft mehr, dem Flüchtigen hinterherzusetzen, und versuchten stattdessen vergeblich in einem nahe gelegenen Fischerdorf Arbeit zu finden. Was aus ihnen wurde, ist nirgendwo verzeichnet.
    Die Fünfte, die es versuchte, war eine schöne Bogenschützin, die im ganzen Land unter dem Namen Livia bekannt war. Livia war berühmt für ihre elegante Kleidung, ihre Frisuren, ihren Stil. Männer und Frauen verehrten sie und hängten sich Kohlezeichnungen, die Livia in verschiedenen Körperhaltungen darstellten, über ihre Betten.
    Livia wollte es nicht zum Kampf kommen lassen. Mit einem einzigen Schuss wollte sie den Barbaren erlegen. Sie war auch bekannt für die Sauberkeit ihrer Vorgehensweisen.
    Aber als sie ihn im Visier hatte, an einer Quelle unter bereits kahlen und den Himmel wie mit Rissen segmentierenden Bäumen, und den Pfeil nur noch von der gespannten Sehne zu lassen brauchte, zögerte sie.
    Dieser Mann war so weit gekommen. Er musste etwas Besonderes sein, auch wenn er ihr äußerlich nicht sonderlich gefiel. Sie mochte schmalere, lässige Männer mit klugen Gesichtern. An diesem hier störten sie alleine schon seine breitarmigen und breitbeinigen Bewegungen und seine langen, ausgesprochen fettigen Haare.
    Aber er hatte etwas an sich, das eigen war.
    Sie versuchte sich vorzustellen, wie er in einer Horde rannte oder ritt, und bekam dieses Bild nicht richtig in ihren Kopf. Dieser hier würde sich niemals restlos einpassen lassen. Auch nicht in die Reihe ihrer Beuten. Er wirkte, als sei er der Einzige, der Erste oder der Letzte seiner Art.
    Das wunderte sie. Sie hatte schon so viele steckbrieflich Gesuchte erlegt. Sauber und mit Stil. Weshalb zögerte sie jetzt bei diesem? Nur weil dieser sich dem Zugriff sämtlicher Verfolger schon länger entzog, als dies gewöhnlicherweise möglich war? Oder weil er ein Ohrgehänge trug, ohne sich darum zu scheren, dass dies ein Schmuck für Frauen war?
    Es kam ihr plötzlich feige vor, ihn einfach so zu erschießen. Dabei war dies ihr Beruf. Sie erschoss immer aus dem Hinterhalt. Es war sauber und schnell. Die Beuten sahen den Tod nicht kommen, litten keinen Schmerz und keine Furcht. Sie hatten Schuld auf sich geladen, deshalb wurden sie gesucht. Und dieser Schuld konnten sie nirgendwohin entkommen. Was Livia ihnen schenkte, war lediglich ein rasches Ende ihrer nutzlosen Bemühungen. Noch niemals zuvor war sie sich dabei feige vorgekommen.
    Was bedeutete das? Wurde sie jetzt langsam alt und ihres Wirkens müde?
    Sie sah im linken Schulterblatt ihrer sich wie für den bevorstehenden Tod rituell reinigenden Beute eine Narbe, die unverkennbar von einem Bolzen herrührte. Eine Armbrust. Da waren noch weitere Narben, etliche, aber diese eine sagte ihr etwas. Man hatte schon auf ihn geschossen. Von hinten noch dazu. Ein Amateur natürlich. Kläglich in die Schulter statt zwischen die Schulterblätter oder ins Genick am Schädelansatz, wo der Schuss sofort tödlich wirken musste. Diese Beute hatte bereits herhalten müssen als Spielplatz unwürdiger Jäger.
    Jetzt hatte sie sein Genick, seinen Schädelansatz vor der Spitze ihres Pfeils. Leicht oberhalb. Sie kannte die ballistische Kurve ihrer Waffe für alle erreichbaren Distanzen in- und auswendig.
    Ihre Spannhand zitterte kein bisschen.
    Wie wenn man einen

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