Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Vortäuschungen.
Die Waffe des Barbaren war anders und neu. Damals hatte er nur ein Messer besessen. Ein Messer gegen eine Sichel. Auf der Wiese hatte das genügt. Nun hatte er ein Schwert und fühlte sich im Vorteil. Aber sein Freund war längst tot und begehrte dennoch zu kämpfen, vielleicht wog dies den Vorteil wieder auf.
Sie kamen sich so nahe, dass ihre Klingen sich schon beinahe berühren konnten.
Der Barbar fahndete auf dem Körper des Freundes nach den Wunden, durch die er ihn damals getötet hatte. Ein Stich, seitlich in die Nieren. Und ein großer senkrechter Schnitt am Hals, der Kehlkopf bloßgelegt, nun nur noch verrotteter Knorpel. So viel Blut war damals geflossen. Die blauen Kelche rot gesprüht. Jetzt hatte der Tote kein Blut mehr. Das hatten Insekten ihm aus dem faserigen Fleisch gesaugt.
Sein Gesicht war wie eine Faust. Geballte Verformung. Sie kämpften, der Tote schnell, mit den ruckartigen Eigenheiten der anderen Toten, der Barbar sicher und geübt, immer im Begriff, einen Schritt nach hinten zu machen, den Gegner in den Ausfall zu locken, der sein Ende bedeuten würde.
Doch der Ausfall kam nicht. Der Tote schien zu ahnen, was der Barbar mit ihm vorhatte. Er war schon einmal daran gestorben. Er wollte dasselbe nicht noch einmal.
Der Barbar musste rückwärtsgehen, so entschlossen trug der Tote seine Angriffe vor. Rückwärtsgehen war gefährlich auf dem rutschigen Steg. Seitlich lauerte das Ende. Die Mäuler der Fische, gierig schwärmend, wurden zu schnappenden, wie rot besprühten Blütenkelchen.
Der Tote kannte keine Müdigkeit, der Lebendige schon. Er schwitzte, die schwüle, fette Luft machte ihm zu schaffen. Der Tote stank bestialisch, der Gestank war wie eine weitere vielarmige Waffe. Der Kampf nahm und nahm kein Ende. Die freie Hand des Barbaren fingerte nach dem Flakon in seinem Gürtel, der blaue Duft, der Duft der Wiese, wiegende Glöckchen, er versprühte diesen Duft, leerte den Flakon über den Toten und den Steg, suchte ihn dadurch zu verwirren, doch vergebens, der Tote kannte keine Gerüche mehr, das blaue Fläschchen war leer und für nichts. Der Tote drang weiter auf ihn ein. Zwischen seinen zerrissenen Wangen schimmerte das Grinsen schwärzlicher Backenzähne. Siegesgewissheit. Niemand kann den Tod bezwingen. Niemand.
Der Barbar glitt auf einer Nacktschnecke aus. Fiel hin, versuchte sich abzurollen. Der Tote war schon beinahe über ihm. Aus dieser Haltung heraus gelang dem Barbaren immerhin ein überraschender Vorstoß. Er trennte dem Toten das eine Bein ab, dicht unterhalb des Knies. Der Tote konnte nun nicht mehr ohne Weiteres vorangehen. Der Barbar krabbelte vor ihm zurück, die Hände durch Gewürm und aufplatzende Insekteneier, und kam wieder in die Höhe. Der Tote stand, unschlüssig, dann sprang er, auf einem Bein. Der Steg wackelte. Er sprang und sprang. Der Barbar betrachtete jetzt den Steg. Dann zerteilte er mit einem raschen Streich die Verschnürung zweier Bohlen. Die Planken glitten leicht auseinander. Der nächste Sprung des Toten war nicht mehr aufzuhalten. Er landete zwischen den auseinanderdriftenden Planken, stürzte seitlich, mit den Armen rudernd. Der Barbar schlug waagerecht zu. Ein Arm rotierte davon. Der Leib klatschte ins Wasser, ließ die Sichel fallen, krallte sich fest mit der verbliebenen Hand. Die Fische machten sich über den Unterleib her, während der Oberkörper sich zurück auf die Planken zog. Einer der Fische war beinahe mannslang. Er fraß schnell, mit großen, schlingenden Bissen. Aus dem Rachen des Toten drang ein seltsames Geräusch. Ein Lallen, fast wie bei einem Neugeborenen.
Der Barbar stand neben ihm und beobachtete. Es duftete noch immer nach dem Flüssigblau der Damen.
Der Tote hielt sich fest. Er schien entschlossen, sich für immer festzuhalten. Dann durchhieb der Barbar ihm auch den zweiten Arm. Der Tote glitt ins Wasser. Hunderte von Fischen hingen mit Saugmäulern an ihm wie Schröpfgläser, zerrten ihn ein Stück weit rückwärts, dann abwärts. Keine Blasen stiegen auf. Kein Abschiedsschrei wie beim ersten Mal.
Die Hand auf dem Steg bewegte sich noch. Sie zuckte und suchte mit den Fingern umher. Ebenso das abgetrennte Bein. Die Zehen krümmten und entfalteten sich. Der Barbar schob beides mit dem Schwert ins Wasser. Dort wartete man schon auf die nächste Fütterung. Es war niemals genug.
Der Barbar setzte sich, um wieder zu Atem zu finden.
Es begann zu regnen, der Sumpf schwoll an, suppte über den Steg. Der
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