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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Mal zu viel um die eigene Achse drehte, konnte man nicht mehr erkennen, aus welcher Richtung man gekommen war und in welche man hatte gehen wollen.
    Der Nebel begann zu riechen.
    Nach Hühnereiern oder einem Schwefelfluss.
    Die Sonne wanderte nicht.
    Sie blieb beständig über ihm kleben wie ein zu hoch angesetzter Glorienschein, eine verwaschene Masse von hellerer Farbe als der Rest der feuchten Welt. Vielleicht war er so schnell, dass er mit ihr dem Horizont ihres vorherbestimmten Untergangs entgegenstrebte.
    Der Geruch des Sumpfes wurde intensiver, begann sich auf die Zunge zu drängen und sich von dort aus langsam den Augen zu nähern.
    In dem Geruch lagen Stimmen. Schwefelgelb wisperten sie in einer fremden Sprache, derjenigen der Waldmenschen nicht unähnlich.
    Allmählich wurde die verwaschene Masse dunkler, daran konnte er erkennen, dass ein Abend kam.
    Das Licht wurde trügerisch, der Steg begann genauso zu flimmern wie das Wasser. Eine Rückenflosse durchschnitt sowohl Wasser als auch Steg. Als er die Stelle erreichte, war der Steg unversehrt.
    Die Dunkelheit senkte sich wie ein unerträglicher Gestank. Sie benahm Atem und Sicht zugleich.
    Er lagerte sich auf die feuchten Bohlen, die sich leise wiegten. Schmeichelnd.
    Der Mond erschien. Ein gezacktes Gebilde, einem zerschnittenen Dreieck ähnelnd.
    Frösche begannen zu quaken, deren Stimmen viel tiefer als die von Fröschen waren.
    Etwas bewegte sich über die Wasseroberfläche. Es sah aus wie ein Tänzer mit gebrochenen Gliedmaßen, der einen Handstandüberschlag nach dem nächsten vollführte, langsam, schlackernd, sich zu Fetzen zerfasernd. Nach fünf solchen Überschlägen tauchte das Wesen ab. Es klang wie ein Seufzen, als es verschwand.
    Der Barbar wusste um das Risiko des Schlafens. Aber er war müde, und der Geruch der Dunkelheit betäubte ihn zusätzlich. Er vertraute darauf, dass er wach werden würde, wenn sich etwas in seiner Nähe auf den Damm wälzte oder etwas ihn vom Wasser aus zu fressen begann.
    Er schlief ein.
    Träumte.
    Von Frauen, die sich wie Unken bewegten. Und im Schlaf tastete seine Hand nach dem bläulichen Flakon in seinem Gürtel. Der Flakon war noch da, kühler als das Sumpfwasser, bebend in unruhigem Licht.
    Ein Steg, der durch unruhiges Wasser führt. Das Wasser dunkel, von Algen durchkämmt. Der Steg sich windend bis zum Horizont, einzelne Planken verfault, einige Segmente auf Pfählen, andere schwimmend in brackiger Dünung.
    Es ist wieder Tag, das Licht ein milchiger Puls, schmerzend zwischen den Schläfen.
    Die Luft erfüllt von warmen Schlingpflanzen und dem Staub von Schmetterlingsflügeln.
    Ein Summen von unten, aus den trägen, breiigen Wellen, in denen Laich dümpelt und schalenlose Muscheln sich türmen.
    Auf dem Knüppeldamm, im Schlick des Vermoderns: Schleifspuren, Bissmale, Kratzwunden.
    Die nächsten Toten waren eine Gruppe. Einige von ihnen hingen aneinander fest oder waren miteinander verwuchert, das war nicht zu unterscheiden. Sie waren – dementsprechend – entweder zu sechst oder nur zu viert.
    Sie standen herum, blickten in unterschiedliche Richtungen und versperrten den Damm. Ein Umgehen oder Umschwimmen erschien alles andere als ratsam, denn um die Toten herum kochte das Wasser vor Quallen und kleinen Quastenflossern, die sich den Steg hinaufzuwerfen versuchten, um ihrer Beute habhaft zu werden. Die hauptsächliche Eigenschaft dieses Sumpfes schien Hunger zu sein.
    Die Toten bemerkten den Barbaren. Ob mit ihren vertrockneten Augen oder ihren verwesten Nasen vermochte er nicht zu erkennen. Wahrscheinlich spürten sie seine Schritte auf den Bohlen. Er nahm das Schwert in beide Hände.
    Sie streckten die Arme nach ihm aus, zudringliche Bettler nachahmend. Er blieb stehen und wartete ab. Sie setzten sich in Bewegung. Langsam. Ruckelig. Ineinander verhakt und dadurch sich gegenläufig behindernd. Drei blieben so zurück, die anderen kamen jedoch näher, die Münder offen, schief, verfaulte Zähne in verdorrtem Zahnfleisch. Als der Erste ihm zu nahe kam, schlug er ihm erst beide Unterarme ab, dann den Kopf. Der Tote kam weiterhin näher. Ein Fußtritt beförderte ihn zu den Quallen und Quastenflossern, die ihn wimmelnd willkommen hießen.
    Die anderen beiden, die ihm schon nahe waren, kamen weiter auf ihn zu. Auch sie fanden sich im Wasser wieder. Dem einen stülpte sich eine riesige Qualle über den Kopf, sodass es aussah, als trüge er einen gläsernen Helm, das Gesicht darunter zu einem stummen Schrei

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