Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
sprach.
»Seid gegrüßt, mein unbekannter Freund«, fistelte der Dorfälteste. Seine Augen rollten dabei, als wäre er dem Tod schon näher als dem Leben. »Ihr könnt bei uns Gastfreundschaft finden, aber die Bande des Berggottes lässt uns nur noch das Notwendigste zum Leben. Alle paar Tage, ohne dass ein Muster erkennbar wäre, schickt der Gott ein paar Männer und nimmt uns alles, was sich essen oder verwerten lässt. Mehr als Haferschleim können wir Euch nicht anbieten, aber bei diesem wenigstens sollt Ihr unser Gast sein.«
Wortlos hielt der Barbar dem Dorfältesten seinen leeren Wasserschlauch hin.
»Wasser begehrt Ihr? Wasser können wir Euch geben. Gutes Wasser noch dazu, nicht wie im Moor, sondern gespeist von den Gletschern der Berge. Es ist altes Wasser, kräftigendes Wasser. Das Wasser kann uns der Gott nicht nehmen. An Wasser besitzen wir Endlosigkeit.«
Immer noch hielt der Barbar den Wasserschlauch hin, bis einer der jüngeren Dorfbewohner auf die Idee kam, danach zu greifen. Der Barbar ließ den Schlauch aber nicht los. Es entstand ein kurzes Gezerre, bei dem der Dörfler deutlich den Kürzeren zog.
»Führt unseren Gast zum Brunnen«, fistelte der Älteste nun. »Er bringt uns weniger Vertrauen entgegen als wir ihm. Wahrscheinlich stammt er aus einer Welt, in der es noch mehrere Schattierungen von Misstrauen gibt. Für uns ist dagegen alles einfach: Wir leben unter der Knute des Berggottes. Jeder Fremde ist uns ein Willkommen.«
Der jüngere Dorfbewohner ging nun zum Brunnen, der Barbar folgte ihm, dem Barbaren folgten die drei Geißler, den drei Geißlern folgte die übrige Delegation, und dieser wiederum folgten einige neugierig gewordene Dörfler. »Der Berggott sieht alles«, unkte einer der Geißler und versetzte sich selbst zur Bekräftigung einen Hieb in die Kniekehlen.
Langsam, als vollführte er einen geheiligten Akt, förderte der junge Dörfler Wasser aus dem Brunnen und reichte dem Barbaren eine Schöpfkelle voll zum Kosten. Der trank so hastig, dass ihm das Wasser aus den Mundwinkeln über das Kinn rann, und nickte dann. Mit weiterhin umständlicher Langsamkeit wurden nun erst drei weitere Schöpfkellen befüllt, die der Barbar alle in sich hineintrank, dann der Wasserschlauch. Einige der Dorfbewohner näherten sich dem Fremden vorsichtig, als wollten sie ihn berühren. Aber er warf ihnen einen finsteren Blick zu, sodass sie sich nicht trauten.
»Er könnte es vermögen«, sagte einer der Geißler in singendem Tonfall. »Er ist keiner, dem die Annehmlichkeiten der Geselligkeit viel bedeuten.«
»Das macht ihn geschaffen, um ungesellig zu sein.«
»Um zu kämpfen.«
»Umzubringen.«
»Götter aus dem Himmel zu zerren.«
»Der Himmel der Götter ist unsere Hölle.«
»So ist es. Wahr sprichst du. Wahr sprechen wir alle.« Und die drei peitschten sich ausgiebig und gleichmäßig, bis neues Blut auf ihre Haut schäumte.
»Er wird auch etwas zu essen benötigen«, wagte der junge Dörfler, der durch das Befüllen des Schlauches nun eine besondere Stellung gewonnen hatte, dem Ältesten nahezulegen.
»Bringt ihm Haferschleim«, befahl der Älteste. »Vom besten, gehaltvollsten, den wir noch haben.«
Ein Neugeborenes begann zu schreien und ließ sich nicht mehr beruhigen. Die Mutter, unansehnlich wie ein Mann, schaukelte das Kind ängstlich in eines der Häuser hinein. »Der Berggott hört alles«, raunten einige der Weiber.
Man brachte dem Barbaren eine Schüssel warmen Haferschleims. Er schüttelte den Kopf. Ihn hungerte nach Fleisch. Eine beherzte ältere Frau versuchte ihm die Schüssel mehrmals aufzudrängen, bis er mit dem Handrücken abwehrte. Was überschwappte, leckten Kinder vom schmutzigen Boden. Über den Inhalt der Schüssel machten sich die Frauen her.
»Er wird Kleidung brauchen«, sagte der junge Dörfler, obwohl seine herausragende Stellung schon wieder ins Wanken geraten war.
Der Barbar blickte hinauf zu der steinernen Brücke. Er sah keine Wege, die dort hinaufführten. Er würde klettern müssen. Aber er sah auch keinen Gott, der dort oben stand und alles sah oder hörte. Er roch nur die Furcht in den behaarten Achseln sämtlicher Dorfbewohner.
»Bringt ihm Kleidung«, befahl der Älteste matt.
»Er kann etwas von meinem Jungen haben, den der Berggott erschlug«, sagte eine alte Frau mit zittriger Stimme. »Es wäre mir eine Genugtuung, wenn wenigstens die Sachen, die ich meinem Jungen strickte, nun noch über den Berggott kommen, um ihn zur
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