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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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verzerrt. So versank er, und an seinen ins Leere greifenden Fingern zappelten fressende Fische wie Schmuck.
    Die restlichen Toten überraschten ihn dann aber doch. Sie wurden plötzlich schnell. Ihre ruckartigen Bewegungen waren schwer zu berechnen. Sie rannten auf ihn zu, einer rutschte aus und glitt halb ins Wasser, raffte sich aber wieder auf und verstärkte den Angriff. Das Schwert schlug durch Arme und Beine und Hälse wie durch zusammengebundenes Stroh. Es gab ein wüstes Gefuchtel. Eine Hand kratzte ihn an der Brust, rissige Nägel schürften die Haut. Dann lagen nur noch halbierte und geviertelte Torsos um ihn herum, bedrängten ihn jedoch weiter, stärker noch als vorher, sodass er sogar zurückweichen musste, um sein Schwert nicht zu verlieren. Je kleiner die Stücke wurden, umso wütender gebärdeten sie sich. Er vermeinte ein hohes, zeterndes Summen zu vernehmen, wie von einem Wespenschwarm. Er hackte und zertrat, bis er in Schweiß geraten war. Die Quallen und Fische sprangen in Ekstase übereinander und verdauten sich selbst. Der Kampfplatz begann nach Jauche zu stinken.
    Schließlich war es vorbei. Mit dem Fuß fegte er die letzten, immer noch zuckenden Fetzen ins Wasser. Für die Fressenden war es ein Festtag. Nichts blieb unverwertet.
    Der Barbar musste verschnaufen. Die Kratzer auf seiner Brust brannten ganz unverhältnismäßig – er hoffte, dass sich da nichts entzündete. In einer gesünderen Landschaft hätte er sich die Wunde ausgewaschen, aber ihn schauderte bei dem Gedanken, was dieses Wasser alles enthalten mochte. Er trank auch nie davon. Sein eigener Wasserschlauch war beinahe schlaff.
    Er ging weiter.
    Die Quallen folgten ihm, als hätte er sie dressiert.
    Ein Steg, der durch unruhiges Wasser führt. Das Wasser dunkel, von zähen Lauerern durchkämmt. Der Steg sich windend bis zum Horizont, einzelne Planken vermodert, einige Segmente auf Pfählen, andere sich wiegend in brackiger Dünung.
    Das Licht ein milchiger Puls, Brandwunden brennend auf der Brust.
    Die Luft erfüllt von Staub und Schwebeteilchen.
    Ein Rumoren von unten, aus den lebenden Wellen.
    Auf dem Knüppeldamm: die Gewissheit, dass keines Lebenden Fuß hier jemals querte.
    Eine Erinnerung überfiel ihn.
    Blaue Blumen wie Glöckchen.
    Er verscheuchte die Erinnerung, zerstörte alle Blumen.
    Der Damm schien zu enden, plötzlich, mitten im Sumpf, und alles vergebens, doch das war nur eine Spiegelung im Wasser, er führte immer weiter, immer weiter fort.
    Die Sonne spaltete sich in drei leuchtende Gebilde, die langsam nach unten schmolzen in den Sumpf, der daraufhin zu leuchten begann.
    Libellen stiegen auf, die Flügel schillernd wie Regenbögen. Sie begatteten sich im Flug, die Leiber zu verschiedenen Mustern verbogen, die beinahe wie Schrift aussahen.
    Aber er konnte nicht lesen.
    Die zweite Nacht brachte das Ende seiner ohnehin kargen Vorräte. Er sorgte sich einzig wegen des Wassers, dem er nicht traute. Um etwas zu essen, brauchte er nur eine Hand in den Sumpf zu halten und die Fische zu sich zu nehmen, die sich darin verbissen hatten.
    Ein sehr großes Tier stieß tiefe Töne aus, die wie ein Henkershorn klangen.
    Etwas glitt vorüber und brachte alles andere in Unordnung und Bewegung, selbst den Steg.
    Der Mond war von bräunlicher Farbe.
    Der Steg leuchtete im Dunkeln, ein schlangenhafter Faden, der sich im Nichts verlor.
    Der Wind war warm wie der Atem eines Rehkitzes.
    Am Morgen bildete sich Licht, als würde das Dunkel verschimmeln.
    Der nächste Tote kam ihm vertraut vor. Die Reste von Kleidung. Die Haltung.
    Das Gesicht war jedoch anders. So furchtbar hatte er nie ausgesehen.
    Und dennoch war er es.
    Vor Jahren hatte er ihn getötet, auf einer Wiese voller blauer Blumen.
    Worum war es gegangen?
    Darum, dass sie beide auf der Welt waren. Sie hatten sich einfach töten müssen. Es führte kein Weg darum herum. Dieselben Mädchen hatten sich in sie verliebt. Dass es sie beide gab, fügte allem und jedem nur Schmerzen zu.
    Sie waren lange Freunde gewesen. Länger, als der Barbar mit sonst jemandem befreundet gewesen war. Ein halbes Leben lang, nein, mehr.
    Jetzt begegneten sie sich abermals.
    Und erneut war ein Kampf unausweichlich.
    Der Steg verdichtet sich auf diesen einen Platz.
    Bildet eine Insel aus.
    Ein Totenort.
    Der Freund, vergangen, hatte dieselbe Waffe wie damals, eine Sichel. Er hielt sie genauso wie damals, auch wenn seine Hand nun jeden Knochen sehen ließ. Haut und Fleisch waren nichts weiter mehr als

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