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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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lange zu begegnen.
    Im Wasser bewegten sich Echsen. Sie schienen zwei klaffende Mäuler zu besitzen, eins an jedem Ende des Körpers. So konnten sie gleichzeitig zwei Beuten hinunterschlingen, und in der Mitte trafen sich dann die Gefressenen.
    Ein Steg, der durch unruhiges Wasser führt. Sich windend bis zum Horizont.
    Das Licht ein milchiger Puls.
    Die Luft erfüllt von warmen Mücken.
    Ein Summen, grob wie dicht behaarte Hände.
    Man hatte ihm ein Boot geboten.
    Der Schädel des Mannes war deformiert, sein Mund sprach dort, wo bei anderen ein Wangenknochen gewesen wäre.
    »Wenn Ihr unbedingt dort lang wollt, Herr, solltet Ihr nicht den Steg benutzen. Bedenket: ein einziges Unwesen, das vor Euch auf den Steg sich wälzt, und Ihr kommt nicht mehr weiter! Denn auf keinen Fall dürft Ihr ins Wasser, um das Wesen zu umgehen. Im Wasser gibt es Larven, die verzehren sich nach Fleisch. Und Fische, die wollen ihren Rogen in Euch legen. Und Würmer, die sich an Euch festsaugen, bis ihrer so viele sind, dass Ihr in die Tiefe sinken müsst. Und einmal, einmal sah ich einen Kraken. Und er hatte das Gesicht und die Brüste einer Frau, und er weinte, während er einen Aal zerdrückte.«
    Das Boot war klein und eng, lief vorne und hinten spitz zu und war mit Moos und glitschigen Flechten bewachsen. Es lag unruhig im Wasser, als zerrten Halterfische daran.
    Er war weitergegangen, ohne es anzuprobieren.
    Er sah einen Schwarm über dem Wasser, der sich bewegte wie ein Netz. Langsam zog dieser Schwarm vorüber, ballte sich, entfaltete sich, bildete Arme aus, kreiste um sich selbst, funkelte und schillerte, wenn die Sonne ihn traf, und verwirbelte sich in den Schatten wie ein Spuk.
    Ein Steg, der durch unruhiges Wasser führt. Das Wasser dunkel, von Algen durchkämmt. Der Steg sich windend bis zum Horizont, einzelne Planken verfault, einige Segmente auf Pfählen, andere schwimmend in brackiger Dünung.
    Das Licht ein milchiger Puls.
    Die Luft erfüllt von warmen Schlingpflanzen, die ohne Wind von Bäumen herüberwehen.
    Ein Summen, das von innerhalb der Ohren herrührt.
    Auf dem Knüppeldamm, im Schlick des Vermoderns, Spuren von Krallen und lechzenden Händen.
    Der erste Tote, dem er begegnete, schien die Orientierung verloren zu haben. Obwohl es eigentlich nichts Einfacheres gab als einen Steg, der nur zwei Richtungen kannte.
    Der Tote kam ihm entgegengeschlurft und sah ganz erbärmlich aus. Eine Wasser- oder Moorleiche, in aufgedunsenem Zustand mumifiziert, die Gelenke steif, durch die lederne Haut zusätzlich festgezurrt. Das Gesicht ein fragendes Loch, von Fischen verzehrt. Egel wimmelten in ihm umher.
    Der Barbar zog sein Schwert, das Schwert des Hauptmanns. Es war das erste Mal, dass er es zog, das fiel ihm in diesem Augenblick auf. Er hatte keine Scheide für diese Waffe, trug sie unverhüllt in den Gurt gesteckt wie die Säbel davor. Sie lag gut in der Hand. Schwerer. Ausbalancierter.
    Der Tote tappte näher, streckte knarrend einen Arm nach dem Barbaren aus, wie um sich an ihm festzuhalten oder ihn um Rat zu fragen. Seine Finger flimmerten wie Fadenwürmer.
    Der Barbar hieb ihn mit einem einzigen Querschlag in Bauchhöhe in zwei Hälften. Der Oberkörper samt Armen und Kopf rutschte vom Rumpf, plumpste trocken auf die Kante des Dammes, kippte von dort aus ins Wasser und versank mit rudernden Bewegungen. Das fragende Loch drehte sich fort, als müsste der Tote nun schauen, was sich unter ihm näherte.
    Die Beine machten noch einen weiten, zögerlichen Schritt, dann blieben sie stehen, ratlos. Es dauerte, bis sie in den Knien einsanken und auf dem Steg liegen blieben. Inzwischen war Bewegung ins Wasser gekommen: Durchsichtige Fische mit Zähnen, die so lang waren, dass sie ihre Mäuler niemals richtig schließen konnten, balgten sich um die Schultern, die Arme, den Kopf und das herausbaumelnde Herz und bissen und fraßen sich dabei auch gegenseitig. Nach wenigen Augenblicken war der Spuk vorüber, die Wogen glätteten sich wieder. Ein paar Krabben hatten sich vor dem Getümmel auf den Steg gerettet. Sie hatten kleine Gesichter, die Besorgnis und Mühsal ausdrückten.
    Der Barbar ging weiter. Anhand der liegenden Totenbeine konnte er sich, selbst wenn die Krabben sich nun das ledrige Fleisch einverleiben würden, immerhin orientieren, falls er jemals die Richtung verlieren sollte. Denn die Sonne war ein fahler Fleck hoch oben im Zenit, und der Sumpf links und rechts sah vollkommen gleichförmig aus. Wenn man sich ein halbes

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