Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
sich
Was sie kriegen kann
Es ist wie ein Fest
Eine Freude
Es prasselt
Frei
Frei wie der Rauch
Auf die Zungen
Legt sich
Das Tosen des Brands
Die Horde löst sich auf
Verläuft sich zwischen den Feuern
Ist selbst wie die Funken
Sucht sich Nahrung
Sucht sich Bestätigung
Er rennt hindurch
Bleibt gar nicht stehen
Nimmt nur im Vorübereilen wahr
Will weiter, weg, woandershin
Wo es noch heller leuchtet, noch wärmer, länger strahlt
Hinter ihm
Zerfallen die Ruinen
Endet das Leben
Und vor ihm
Das weite, noch unbefleckt schlummernde Land
PLüNDeRN
»Der Drache«, ächzte der sterbende Vater. »Der Drache hat mir den Sohn genommen.«
Zerschmettert lag der Vater am Hang. Seine Beine standen in unmöglichen Winkeln ab, wahrscheinlich beide aus den Hüftgelenken ausgekugelt. Aber er sprach verhältnismäßig ruhig, obwohl auch sein Brustkorb eingedrückt aussah, als wäre ein Riese auf ihn draufgetreten. Der Barbar, der einfach nur des Weges gekommen war, war stehen geblieben und hörte dem Vater nun zu. Er respektierte diese Ruhe im Angesicht des Todes. Schon mehrmals in seinem Leben hatte er die Erfahrung gemacht, dass Sterbende, weil ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, weniger Unsinn redeten als solche, die noch Leben vor sich hatten.
»Er kam von oben«, erläuterte der Vater. In seinen Atem mischten sich das Zerplatzen und Schäumen blutiger Bläschen. »Aus dem wolkenlosen Himmel. Zuerst nur ein Schatten. Dann ein Rauschen von Flügeln. Es klang fast wie Regen. Es riss mich vom Pferd. Das Pferd trug eine tiefe Wunde davon, doch konnte es entkommen. Mein Sohn hatte ein eigenes, ein kleineres. Auch dieses verschonte der Drache. Es entkam. Nur meinen Jungen. Meinen Jungen hat er sich geschnappt.«
Der Barbar schaute sich um. Der Vater lag am Fuß eines steilen Hanges, wahrscheinlich hatte sich das alles oberhalb des Hanges ereignet. Dort führte eine Straße entlang. Der Vater war in die Tiefe gepurzelt. Hatte er überhaupt sehen können, wer ihn angriff? Oder dass sein Pferd und das seines Sohnes entkommen konnten? Sehen nicht. Aber er hatte es hören können. Wie die Pferde davonliefen.
»Hast du schon einmal einen Drachen gesehen?« Der Vater lächelte. Seine Lippen wurden zusehends bleicher. Bald würde er zu schlottern beginnen, dann zu phantasieren, dann zu verlöschen. »Es ist ein furchtbarer Anblick. Er kann fliegen, und sein Atem riecht nach Feuer. Er schlägt dich und greift sich dich und zerbeißt dich, alles auf einmal. Und er ist riesig. Seine Schwingen füllen den wolkenlosen Himmel aus. Ich habe ihn davonfliegen sehen. Dort. Dort hinauf flog er. Mit meinem Jungen in den Krallen. Und mein Junge rief nach mir, und ich konnte nicht antworten, denn ich war noch immer nicht fertig mit Stürzen.«
Er deutete. Sein Arm schlenkerte dabei ungesund. In der Verlängerung des deutenden Fingers lag eine zackige Felsformation, die wie eine Krone aussah. Die Einheimischen nannten diese Stelle den Nagelwald, davon hatte der Barbar schon gehört. Dort sollten Drachen hausen und andere Ungeheuer. Ein Labyrinth der Gefahren. Der Nagelwald hatte die Farbe von angelaufenem Silber oder noch flüssigem Vogelkot.
»Mein Sohn ist am Leben«, röchelte der Vater nun. »Der Drache hat ihn beinahe sanft aus dem Sattel gehoben, beinahe liebevoll. Er will ihn lebend, um ihn an seine Brut verfüttern zu können. Aber nun, da ich sterben werde, wird nichts mehr bleiben von mir, wenn mein Sohn ebenfalls stirbt. Kannst du ihn retten, mein Freund? Du bist jung und stark. Du hast ein Schwert. Ein gutes Schwert, keines von denen, die beim ersten Schlag in Trümmer gehen. Es ist nicht weit nach dort oben. Du brauchst den Drachen nicht zu erschlagen. Warte einfach, bis er auf weitere Beute ausfliegt, dann nimm dir meinen Jungen und bringe ihn zur nächsten Winzerei. Ich bin ein Weingutsbesitzer. Die Menschen dort werden wissen, wer er ist. Sie werden sich um ihn kümmern und dich reich entlohnen. Ah, ich sehe deinen Blick. Du denkst dir, dass es dir schon reichen würde, meinen Leichnam zu fleddern. Aber ich muss dich enttäuschen. Ich habe fast nichts bei mir. Ich war unterwegs, um ein Geschäft zu tätigen, und habe die Wertsachen bereits überbracht. Aber auf einem Weingut dieser Gegend, egal welchem, wird man dir geben können, wonach du verlangst. Wenn du ihnen meinen Sohn bringst.« Er hustete. Dann begann das Schlottern.
Der Barbar stellte sich zwischen ihn und die Sonne. Der Vater sollte in
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