Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
geraunter Berichte gewesen. Es gab sie. Und sie konnten Menschen packen und mit sich reißen, Kinder erst recht.
Im Höhersteigen verlor er den Nagelwald ab und zu aus den Augen, wenn ein Felsriss sich um ihn zu schließen schien wie die Außenwände eines Rohres, wie manche Völker sie zum Felderbewässern bauten. Dann wieder kam die Formation in Sicht. Und mit jedem Mal wurde der Schwarm deutlicher. Fledermäuse, in der Tat. Aber ungewöhnlich große und hässliche, unterschiedlich in Form und Größe. War es möglich, dass der Junge nicht von einem einzelnen Wesen, sondern von einem Schwarm entführt worden war? Konnte ein Schwarm sich auf eine einzige Beute einigen und zusammenarbeiten, um diese in die Lüfte zu heben?
Der Nagelwald jedenfalls erwies sich als größer, als er aus der Entfernung zunächst gewirkt hatte. Eine Landschaft aus Splittern und Verformtheiten. Wie Bruchstücke von etwas, das aus dem Himmel herniedergeborsten war. Als fehlte dort oben nun ein Teil. Der Nagelwald war eine unüberschaubare Zerklüftung, weißlich bis schwärzlich schimmernd, frei von jeglichem Bewuchs und dabei einen Geruch verströmend, als siedeten schon nicht mehr genießbare Hühnereier in einem übergroßen Bottich.
Das Flappen der Fledermausflügel war bereits zu hören. Einige dieser Wesen schrien wie Vögel, was Fledermäuse eigentlich nicht zu tun pflegten.
Eine Fackel.
Eine Fackel hätte er jetzt gut brauchen können. Doch er hatte seine in das Dorf geschleudert, wie die anderen auch. Die Horde war jetzt Vergangenheit, hatte sich zerstreut. Im Nachhinein wunderte er sich fast darüber, woher die Horde eigentlich gekommen und wohin sie gegangen war. Sie waren ihm alle ähnlich gewesen, so als wären sie er. Hatte er sich nur vervielfältigt, um ein Dorf in ein Flammenmeer zu tauchen? Um Farben und Licht zu erschaffen, der Nacht zum Trotz, und niederzubrennen, was keinen Wert mehr besaß? Die Horde war nur noch eine flüchtige Erinnerung, und mit ihr die Fackeln, die ihm jetzt gegen die Fledertiere hätten von Nutzen sein können.
Stattdessen nahem er sein Schwert in die Faust. Beim richtigen Stand der Sonne konnte man auch mit einer Klinge ein Leuchten erzeugen. Und ein Singen. Und Tanz.
Er näherte sich. Beständig aufwärts. Das Gestein scharfkantig und wehrhaft. Das war kein gewöhnliches Gestein. Das wirkte wie verschiedene zusammengeschmolzene Metallerze. Der Geruch wurde stärker, umfing ihn mit feuchtkalten Gliedmaßen. Die Fledermäuse formierten sich. Es waren mehr als hundert von ihnen, vielleicht sogar zweihundert. Sie stiegen auf, begannen zu kreisen und hielten dann genau auf ihn zu.
Er bleckte die Zähne. So viele auf einmal. Aber er war ein Mensch, ein Mann. Und sie nur Ungeziefer.
Dennoch war es ratsam, nicht zuzulassen, dass sie von allen Richtungen gleichzeitig über ihn herfielen.
Er suchte sich eine Nische im glänzenden Gestein. Presste sich mit dem Rücken an die Kanten. Über seinem Kopf hätte er auch noch gerne einen Vorsprung gehabt, der ihn nach oben hin schützte, aber so etwas war in der Kürze der Zeit nicht zu finden gewesen. Er begnügte sich mit dem, was da war, wartete mit dem Schwert in beiden Händen. Das Flattern kam näher, in seiner Vielzahl ein ledriges Rauschen. Dann stießen sie herab. Dutzende von ihnen, mit weit aufgesperrten Zahnmäulern und Nasen, die ganz faltig waren vom Aufreißen der Kiefer. Mehrere seiner Streiche führte er von unten nach oben, derart konnte er sich nicht im sich oben ballenden Getümmel verhaken und allzu viel an Schwung einbüßen. Die Tiere waren unterschiedlich groß und schienen auch verschiedenen Arten anzugehören, was ungewöhnlich war für einen Schwarm. Die kleinsten, durchaus auch aggressivsten waren kaum größer als Spatzen, die größten jedoch wie Hunde mit Hautschwingen. Es gab schwärzliche Tiere mit borstigem Fell, braune mit katzenartigen Augen und gelbliche, deren Schnauzen spitz zuliefen wie Schnäbel und deren Körper eher an Echsen erinnerten denn an Fledermäuse. Der Barbar machte zwischen all den Sorten und Größen keinen Unterschied. Er durchhieb nach links und rechts
Flügel
Leiber
Schnauzen
Zähne
Ohren
Köpfe
Krallen
Augen
Zungen
Füße
Hälse
Knochen
und Fell. Er vermisste ein zweites Schwert. Mit einer Klinge in jeder Hand hätte er sich besser zur Wehr setzen können und nicht immer so viel Zeit verloren mit dem Rückführen und Neuausholen. Stinkendes Blut und beißende Pisse pladderten über
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