Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
nur zu laut gesungen hatte, so hart gegen den Hinterkopf, dass dieser mit seinem Gesicht einen Spiegel zertrümmerte. Ionie ging dazwischen, der Trunkene bekam sein Geld dieser Nacht zurückerstattet. Ein andermal packte der Barbar einen, der sich verdrücken wollte, ohne zu bezahlen, und nahm ihn so hart in den Schwitzkasten, dass diesem die Nase anfing zu bluten und die Augen sich mit flatternden Lidern ins Weiße verdrehten. Diesmal rettete das Mädchen, das der Freier zu prellen versucht hatte.
Ionie machte sich Sorgen. Sie spürte, dass der Barbar nicht mehr zu halten war. Aber mit ihm lief das Geschäft ruhiger als jemals zuvor. Sie hatte früher drei bis vier Aufpasser anheuern müssen, um auch nur annähernd die Wirkung zu erhalten, die er allein erzeugte. Nun hatte sie diese drei bis vier entlassen können und sparte sehr viel Geld, weil er nie auf die Idee kam, etwas anderes zu verlangen als Unterkunft und Essen. Er schien mit Geld nichts anfangen zu können. Ionie trug eine Schwäche für solche in ihrem Herzen, trotz oder vielleicht aufgrund ihres Metiers.
Eine Woche vor Ablauf seines zweiten und letzten Monats machte Ionie eine Neuerwerbung.
Etwas ganz Besonderes sollte es sein.
Die Neue wurde vom Scheitel bis zu den Sohlen in einen Umhang gehüllt in Ketten durch einen der Hintereingänge geführt und dort in den Raum gebracht, in dem auch der Barbar zuerst hatte warten müssen. Dort wurde sie vorbereitet und mit Öl eingerieben.
Der Barbar, der zufällig vorüberging, blieb wie angewurzelt stehen, als er sie erblickte.
Eine solche Frau hatte er noch niemals gesehen.
Sie war muskulös wie ein Mann, muskulöser sogar als die meisten Männer, ihr Bizeps ausgeprägter noch als seiner. Ihr Gesicht war kantig, aber weiblich. Ihre Brüste nicht groß, aber eindeutig nicht die Brust eines Mannes. Ihr Geschlecht haarlos wie das der anderen Mädchen und eindeutig das einer Frau. Ihre Taille war schmal wie die einer Frau, darüber strahlte ihr mächtiges Kreuz in die Breite, beinahe wie die Flügel eines Raubvogels. Sie strahlte Kraft und Würde aus. Ihre Muskeln glänzten im Tanz dreier Kerzenflammen.
Ionie wusste, was sie da hatte. Etwas für Kenner. Für sehr spezielle Stunden. Und etwas für den Barbaren. Sie wollte er haben am Ende des Monats.
Ionie dachte darüber nach, sie ihm vorzuenthalten. Zu sagen: »Diesen Monat nimmst du eine der gewöhnlichen, im nächsten Monat erst darfst du dann diese.« Aber ihr schwante, dass er dann durchdrehen würde. Dieser Gefahr wollte sie sich nicht aussetzen. Also gewährte sie sie ihm. Und tatsächlich wurde er ganz ruhig in seinen letzten Tagen in diesem Haus. Er hatte wider Erwarten noch etwas gefunden, worauf es sich zu warten lohnte.
Einzig der Glatzkopf mit den »besonderen Wünschen« hatte sich bislang an diese Frau getraut. Er hatte eingeschüchtert gewirkt danach, als wäre er in irgendeiner Hinsicht zu weit gegangen. Alle anderen mieden die Neuerwerbung. »Das ist doch keine richtige Frau«, sagten sie. Und: »Da ist ja der Gemüsehändler an der Ecke weiblicher. Und der ist stinkhässlich!«
Ionie schwieg dazu und lächelte. Für diese Frau verlangte sie einen besonders hohen Preis. Die Investition würde sich schon auszahlen, wenn auch nur einer von hundert Kunden sich für das Mannweib erwärmen konnte.
Das Mannweib war gefährlich. Sie war nicht freiwillig hier. Man hatte sie verschleppt. Jemand, der wusste, wofür man in der Stadt einen guten Preis erzielen konnte. Jemand, der beständig in aller Welt für Ionie seine Augen offen hielt.
Das Mannweib wurde gefangen gehalten in einer speziell verstärkten Kammer. Am ersten Abend war es ihm gelungen, die Tür aufzudrücken. Ionie hatte es mit Unterstützung zweier Diener geschafft, die Tür zu verstärken, ohne den Barbaren rufen zu müssen. Danach hatte man dem Mannweib Drogen ins Essen gemischt, sodass es schlief, und man hatte sie angekettet. Als der Glatzkopf zu ihr ging, war sie angekettet gewesen. Ionie jedoch ahnte, dass der Barbar darauf bestehen würde, die Ketten zu entfernen.
Er ließ sich nicht abbringen. Und er brauchte keine Worte dazu. Seine Blicke waren eindeutig. Seine Missachtung aller anderen Mädchen im Haus ließ keine Zweifel zu. Ein wenig fühlte Ionie sich verletzt, dass er auch sie so missachtete, aber sie war keine Frau, die sich Illusionen hingab. Sie hatte damit gerechnet, mit ihren eigenen Erwerbungen nicht konkurrieren zu können.
Der fragliche Abend war
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