Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
seinen letzten Augenblicken wenigstens nicht geblendet sein. Ihn in den Schatten zu tragen war nicht machbar. Beim Anheben schon würde er in seine Einzelteile zerfallen, die nur noch zufällig, von Blut und Eiter gehalten, aneinanderklebten.
Der Vater verstieg sich jetzt in eine sonderbare Rede, die Worte pulsten nur so aus ihm heraus. Er verfluchte die Mutter des Knaben, die ihn dazu gezwungen hatte, Vater eines Kindes zu werden, obwohl er selbst immer darauf hingewiesen hatte, dass er dieser Aufgabe nie und nimmer gewachsen sein würde. »Man kann kein Weingut leiten und gleichzeitig ein guter Vater sein. Ich habe das immer gesagt, immer. Es gibt zu viele Gefahren auf der Welt. Ich werde ihn mitnehmen müssen auf Reisen, es wird nicht anders gehen, er wird lernen müssen und sehen, und es wird ein Drache kommen und ihn mit sich reißen, und mir wird die Kraft fehlen, mich dazwischenzuwerfen.« Der Barbar hörte kaum zu. Ihm war die Vorstellung, sich um die beim Vergnügen gezeugten Bälger kümmern zu müssen, vollkommen fremd. Für so was waren die Weiber zuständig, die sehnten sich sogar danach. Den Geruch von Kinderscheiße schienen sie zu mögen. Er dagegen versuchte im Nagelwald eine Bewegung auszuspähen. Da war tatsächlich etwas, aber es sah eher wie ein Schwarm von Fledermäusen aus als wie ein Drache.
Der Vater begann zu halluzinieren. Er erzählte von Orten, die es nicht geben konnte, und von Abenteuern, die er niemals erlebt hatte. Der Barbar verlagerte ungeduldig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Dann war es vorbei. Der Vater war tot, den Mund noch immer offen vom Reden, die Augen ebenfalls halb, nur der Blick war starr und trocknete. Fliegen summten, um Eier zu legen. Der Barbar durchsuchte den Toten. Dieser hatte nicht gelogen. Er trug nichts bei sich außer papierenen Wechseln, die der Barbar nicht anerkannte, weil sie brannten, wenn man sie ins Feuer hielt. Keine Währung von Wert konnte Feuer fangen und zu einem zerflatternden Nichts verschmoren.
Er schnaubte verächtlich und machte sich an den Aufstieg. Warum, wusste er selbst nicht so genau. Es ging ihm jedenfalls nicht um den Jungen. Eher darum, einen Drachen zu sehen. Aus nächster Nähe. Und sich mit ihm zu messen.
Als er den Hang halb erklommen hatte, blickte er sich noch einmal nach dem Vater um. Der lag dort noch immer, so verformt, wie ein menschlicher Leib nur sein konnte, und bildete ein skurriles Wegzeichen des Verlusts.
Oberhalb erreichte er die Straße und fand noch Spuren des Kampfes. Blut aus der Wunde, die dem Pferd zugefügt worden war. Das Rot führte in noch feuchten Spritzern davon. Das Geschehen war nicht lange her, das Pferd jedoch nirgends zu sehen. Vielleicht konnte der Barbar ihm später folgen, aber es würde nicht mehr zu viel nütze sein, wenn es so viel Blut verlor. Schade drum. Wie hatte sich der Vater eigentlich vorgestellt, dass er seinen Jungen transportieren sollte? Indem er ihn zu Fuß durchs Land trug? Selbst wenn es ihm gelingen würde, den Jungen zu befreien, hatte er keine Lust darauf, ein möglicherweise sogar verwundetes und deshalb quengeliges Kind mit sich herumzuschleppen. Er grinste beinahe, so abwegig kam ihm alleine schon der Gedanke vor.
Der Nagelwald lag noch viel weiter oben, aber er brauchte nicht Steilwände zu erklettern, es gab mehrere Senken und Schluchten, die aufwärts führten, als hätten die Berge selbst in einem vorzeitlichen Gefecht mit gigantischen Äxten aufeinander eingedroschen, um sich zu formen. Der Aufstieg erinnerte ihn ein wenig daran, wie er vor einigen Monaten diesen vermeintlichen Gott erschlagen hatte, der mit seiner Bande ein heruntergekommenes Bergdorf tyrannisierte. Der Gott war nur ein Wichtigtuer gewesen, ein erbärmlicher Mummenschanz für leicht beeindruckbare, in Häusern zusammengekauerte Sippenmenschen. Mit dem Drachen jedoch würde es sich anders verhalten. Weshalb sollte ein Sterbender die Unwahrheit sagen? Es sei denn, jemand hatte ihm weisgemacht , es mit einem Drachen zu tun zu haben, und etwas anderes steckte dahinter. Eine weitere Bande, die eine Gegend zu unterdrücken trachtete, indem sie sich als etwas ausgab, das größer war als sie? Wenn es so war, würde er es herausfinden und beenden. Alleine schon, um jeder nur vorgetäuschten Größe ein Ende zu setzen. Aber er glaubte an den Drachen. Er glaubte nicht an Götter, die einzelne Dörfer unterjochten. Aber Drachen waren schon in seiner Kindheit an den Wandernden Feuern Bestandteil
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