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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Nachteil: Er trug keinen Helm, der den auseinanderberstenden Kopf zusammenhalten konnte. Das war genau genommen nämlich auch ein Mogeln. Der Helm verhinderte, dass das sich im Sterben windende Hirn zu den Ohren hinaustroff. Dem Gegner blieb nur das Nicken. Das nackte, ungerade Nicken.
    Dabei wollte er gar nicht mogeln. Er bekam nur den Kinnriemen nicht auf. Er versuchte es sogar, gerade jetzt, aber er fand nicht mal sein Kinn.
    In seinem Inneren war ein hohles Röhren. Wie ein Sturmwind, der sich in einer Ruine oder in vom Blitz zerschmetterten Baumstämmen fängt. Die Zuschauer zerplatzten wie Blasen. Glotzten wie Fische. Schwappten wie Wellen. Schnappten nach Luft.
    Kurvendrang.
    Krummendamm.
    Er kam nicht drauf. Er hatte diesen Rang vergessen, den er nun bekleidete.
    Und das siedende Öl war auch beinahe weg. Es war nun eher wie ein Meer, golden schimmernd bei Sonnenuntergang. Die Bewegung keine Zehen, sondern winzige Quallen.
    Er trank.
    Ertrank.
    Der Gegner stierte vor sich hin. Nickte. Schnaufte. Schluckte. Schluckte alles.
    »Noch einen.«
    Das Fass war ein Füllhorn. Der Mundtotmacher eine niemals versiegende Quelle.
    Alles drehte sich. Besonders am Himmel bildeten sich Schlieren und Spiralen aus. In Blau. Mit einer weizenfeldfarbenen Sonne darin, die ihre Strahlen von sich sprengte, um alle Welt damit zu durchbohren.
    Neben dem Schiedsling stand ein junger Mann, ein ernster junger Mann, ein Gelehrter womöglich, dem Umhangmantel nach zu urteilen. Er sprach mit dem Schiedsling, drückte Sorge aus. Der Barbar verstand die Worte »Tod« und »Saufen«.
    Wo kamen sie nur immer her, diese ganzen Menschen? Er hatte sich doch wegbewegt. Und am Anfang war da nichts weiter gewesen als ein Tisch und ein Fass, mitten auf einem Weg. Und dann waren immer mehr Menschen hinzugeströmt. Auch wie aus einer Quelle oder einem Fass. Gab es irgendwo ein Menschenfass?
    »Den beiden passiert schon nichts, Meister Indenkron«, sagte der Schiedsling grinsend zu dem Besorgten. Der Besorgte sprach sehr leise weiter. Eines seiner Worte war »beenden«.
    Der Barbar griff und trank.
    Sein Gegenüber nickte und trank.
    War das Wort »Gegner« eigentlich eine gelallte Kurzform von »Gegenüber«?
    »Noch einen.«
    Der Barbar griff daneben, tastete suchend herum, kurzzeitig blind geworden, fand und trank.
    Sein Gegenüber nickte und trank. Aus seiner Nase floss nun etwas, das wie verdünntes Blut aussah.
    Die Menschen. Überboten sich. Überschrien sich. Mit Wetten. Münzen und Säckel machten die Runde. Man lachte. Einer äffte das Kotzen das Gegners nach.
    »Noch einen.«
    Der Barbar hatte jetzt das Gefühl, nicht mehr zu können. Sein Bauch war dermaßen voller Flüssigkeit, dass er fürchtete, sich nicht mehr erheben zu können. Und das, obwohl die Becher so winzig waren. Das konnte nicht stimmen. Er musste auch nicht pissen. Es war wie eine Illusion. Es war das goldene Meer in ihm.
    Er trank und spürte jetzt gar nichts mehr. In seinen Ohren rauschte es nur noch. Seine Augen mochten ungerade sein wie die seines Gegenübers ohnehin. Er sah ihn nicken und schlucken, verwischte Bewegungen, Schlieren unter Fadenscheinigkeit.
    »Noch einen.«
    Er trank. Niemand sprach mehr.
    Der andere nickte. Trank ebenfalls. Nickte noch mal. Das jedenfalls wirkte neu.
    »Noch einen.«
    Er trank.
    Der andere nickte. Nickte noch mal. Trank. Nickte. Rutschte vom Stuhl und blieb liegen.
    Man untersuchte ihn.
    Er war tot.
    Seine Augen waren halb geöffnet.
    Er schien zu lächeln.
    Im Barbaren wogte das goldene Meer. Der Sonnenuntergang tauchte hinein, wusch sich die Hände und Arme. Es gab eine Brise – und Brandung. Es roch nach erbrochener Gischt. Und heißem Fett. Aber warum, wusste er endlich nicht mehr.
    Der ernste junge Mann mit dem Gelehrtenumhangmantel fasste ihn unter den Achseln und half ihm aufzustehen. »Habt keine Furcht. Mein Name ist Welw Indenkron. Ich bin ein Kundiger der Menschwissenschaften. Ich werde Euch in Sicherheit bringen, und alles, um was ich Euch als Gegenleistung bitten werde, ist eine geringfügige Gefälligkeit gegenüber meinen Schülern.«
    Er hörte nicht. Verstand nicht. Alles rauschte. Münzen wechselten Besitzer und Wert.
    Der andere war tot. Tot. Und lächelte.
    Verflucht!
    Verflucht!, dachte er schwankend.
    Das war ihm nicht gelungen.

BeGaFFeN
     
    Der Saal war voll und wogte bunt.
    Die Sitzbänke ähnelten jenem hölzernen Treppenpodest, das bei Hinrichtungen in Städten unweit der Bühne aufgestellt wurde. Vielleicht

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