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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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einer goldenen Gabel gegen ein Glas schlug. Der Ton hallte nach, als würde er niemals mehr enden können.
    Die Musikanten auf der Balustrade stimmten mit verhaltener Lautstärke ein Lied mit einer eingängigen Melodie an.
    Durch die fünf nackten Kinder ging ein Ruck. Sie schauten sich gegenseitig an, geschwisterlich leuchtend, mit fröhlichen Augen, fassten sich an den Händen, atmeten ein und sangen gemeinsam:
     
    Nun geh’n wir ein ins Paradies
    Weil man uns Treue lieben ließ
    Unseren Eltern zum Dank
    Für Speise und Trank
    Wir haben uns reingehalten
    Von allem Schmutzigen und allem Alten
    Unseren Eltern zum Dank
    Für Speise und Trank
    Ihr braucht uns nicht beweinen
    Unser Licht wird in euch weiterscheinen
    Unseren Eltern zum Dank
    Für Speise und Trank
    Wir lebten für diese Stunden
    Drum lasst Euch unsere Freude munden
    Unseren Eltern zum Dank
    Fü-ür Spei-hei-se und Traaaaaank
     
    Die Kuttenträger applaudierten. Einige wischten sich verstohlen Tränen aus den Augenwinkeln, lächelten dabei, hielten sich an den Händen, drückten diese, schauten die Kinder aufmunternd an, die unter dem Beifall stolz erglühten, sich verneigten, knicksten, lachten.
    Dann löste sich das jüngste der Mädchen, es war allenfalls sechs Jahre alt, von den anderen und sprang in die siedende Ölwanne.
    Gewalttätig und begierig prasselte das Öl auf. Das Mädchen stieß einen Laut aus, der wie ein reißendes Seufzen klang, dann platzte schon sein Fleisch auf. Es starb mit merkwürdigen Bewegungen. Diener wendeten es mit langen Stangen im Sud des auslaufenden Körperfetts.
    Durch die Kuttenträger ging ein Aufschrei der Freude.
    Die Kartenlegerin schrie ebenfalls. Erst nur einmal. Dann noch mehrmals. Laut und schrill.
    Durch den Barbaren rann ein Gefühl, als würde man ihm Eiswasser ins Mark pumpen.
    Er spürte die Hand des Magistraten auf seiner. Mit Weinatem raunte ihm der Alte kichernd etwas zu. »Sie sind so erzogen worden, ihr ganzes kurzes Leben lang! Die Männer aus dem Kreis zeugen sie auf den Monatsfesten mit jungen Weibern aus der Gegend, und die Frauen aus dem Kreis kümmern sich um Wohlbefinden, Unterbringung und Erziehung. Ein wunderschönes Beispiel für gelungene, komplexe Planung, und für die Kinder das größte vorstellbare Glück!« Der Barbar konnte nicht jedes Wort verstehen, weil das Schreien der Kartenlegerin vieles überlagerte, aber er verstand »Glück«.
    Glück?
    Das zweite Kind stieg in die Wanne. Ein Knabe, kaum acht Jahre alt. Einer der Kuttenträger, sein leiblicher Vater womöglich, rief ihm noch etwas zu. »Ich bin stolz auf dich, mein Junge!«
    Stolz.
    Der Barbar erhob sich. Riss einen Teil der Tischdecke mit sich. Sein gepolsterter Stuhl fiel nach hinten um.
    Die Kartenlegerin schrie weiterhin. Pressend. Kuttenträgerinnen kümmerten sich um sie, redeten begütigend, beruhigend, guter Dinge auf sie ein. Auch Diener schwärmten umher.
    Der Barde schaute interessiert nach hier und da, nippte am Wein, streichelte zartbitter seine Laute.
    Der Magistrat schmatzte, sagte: »In diesem Alter sind sie eine unvorstellbare Köstlichkeit! Sie zergehen förmlich auf der Zunge!« Lachte. Schnalzte.
    Durch den Barbaren flutete unvorstellbare Gewalt. Er sah sie alle im Öl, mit den gut gelaunten Gesichtern voran, zappelnd vor Pein. Er sah die Tische zerschmettert. Die Spiegel zersplittert. Wein über allem. Kerzen fraßen sich an Purpurbehängen aufwärts bis zum Weltenbrand.
    Er taumelte rückwärts. Hatte keine Waffen. Überhaupt keine Waffen. Außer Messer und Gabeln. Zum Essen.
    Glück.
    Stolz.
    Das dritte Kind, wieder ein Mädchen, ließ sich ins Öl gleiten. Sie schrie dabei in Schüben, so überwältigend tat es weh. Aber sie hielt nicht inne. Tauchte unter. Das erste Mädchen wurde inzwischen, auf Speergabeln gespießt, aus dem Öl gehievt. Kurzgebratenes. Die ungefähren Umrisse eines Menschen.
    Die Kartenlegerin verstummte.
    Der Barbar war bis an eines der Fenster zurückgewichen. Das kühle Glas. Auch nur ein weiterer Spiegel. Ins Nichts.
    Dann floh er. Das war alles zu viel für ihn. Zu viel Glück. Zu viel Stolz. Das Prasseln des Fetts. Die Musik. Die ganze Zeit spielte Musik.
    Er tastete sich an der Wand entlang wie ein Geblendeter.
    »Haltet ihn!«, rief einer der Diener.
    »Ach, lasst ihn gehen.« Die Stimme des Buckligen. »Er ist eben doch nur ein Krieger. Was versteht denn ein Totschläger schon vom Leben ?«
    Er tastete sich von Kerze zu Kerze. Verbrannte sich, um vorwärtszukommen.

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