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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Hinter ihm ging alles weiter. Er wollte sich nicht umwenden, konnte nicht mehr nach der Kartenlegerin schauen. Was sie mit ihr machten. Wie sie ihr etwas servierten. Er sah den Barden vor sich, wie er neugierig mit Messer und Gabel eine Knabenwade probierte. Um anschließend aufspielen zu können. Reime rülpsend.
    Er sah das alles. Das war der Wein. Normalerweise sah er nicht so viel, was noch gar nicht da war.
    Eines der Fenster war nicht ganz geschlossen, diente zur Lüftung. Er lehnte sich schwächlich nach draußen, bis er sich in der Gardine verhedderte, hindurchriss, im Kies aufschlug. Keine Waffen mehr. Nur den Helm noch. Weg. Einfach nur weg.
    Er arbeitete sich hoch, Kies zwischen den Zähnen. Ein weiterer Schrei. Ein Kind. Gelächter. Applaus. Die Musik. Die alles überlagernde Musik.
    Er taumelte durch eine Art Park, verlor den Weg, fand ihn wieder. Der Weg wand sich wie eine Schlange. Die Lampions beleuchteten mehrfarbig das festliche Anwesen von draußen. Niemand folgte ihm. Er erreichte die Nacht.
    Die Nacht warf sich um ihn wie eine feuchte Decke. Er fühlte sich beengt. Schlug um sich. Wollte sich den Helm vom Kopf lösen, um atmen zu können und denken ohne Zange. Aber er bekam den Kinnriemen nicht auf. Der Helm saß fest wie eine Hand, in deren Griff sich sein Schädel wand.
    Er wollte weiter. Fliehen. Vor den Menschen. Wohin?
    In die tiefen und düsteren Wälder. Wo der Falkengott hauste.
    Aber den hatte er ja zertrümmert. Er selbst hatte ihn zerstört.
    Er konnte nirgendwo mehr hin.
    Also beschloss er, Vergessen zu suchen.
    Irgendetwas zu tun, um diesen Irrsinn für immer vergessen zu können.
    Das Fest.
    Die freudigen Kinder.
    Die Kerzen.
    Die Musik.
    Den ganzen Stolz der Väter.
    Er wandte sich dorthin, wo die Nacht am allerdunkelsten war.

SauFeN
     
    »Noch einen.«
    Er stürzte ihn runter. Wusste schon gar nicht mehr, der Wievielte es war. Vor ihm sammelten sich die Zinnbecher. Es waren nur Becher. Kaum größer als Fingerhüte für Daumen. Aber sie hatten es in sich. Wie hatten sie diesen Schnaps genannt, um den es hier ging?
    Moment noch.
    Gleich hatte er es.
    Irgendwas mit Mund und Tod.
    Mundtotmacher .
    Sein Gegenüber blickte ihn an, die Augen waren nicht ganz gerade, waren wohl auch in nüchternem Zustand nie ganz gerade, und er fragte sich, wie jemand die Welt sah, der ungerade in sie hineinblickte. Der Gegner nickte dann und trank ebenfalls. Vor ihm türmten sich ebenso viele Becher. Er hielt mit. Der schmächtige Mann mit den fettigen Haaren hielt mit. Die Gesichtsfarbe gelb. Die Augen wie zerborstene Weichtiere. Wund geädert. Krumm geschaut.
    »Noch einen.«
    Es gab so eine Art Schiedsling. Der hatte auch einen Namen. Einen komplizierten Namen, der aus vielen Silben bestand, die auseinander hervor- und ineinander übergingen wie etwas, das an eine Dornenhecke erinnerte. Er hatte ihn vergessen, den Namen. War auch nicht weiter wichtig.
    Der Schnaps hieß Mundtotmacher . Mit Mund und mit Tod.
    Ein neuer, gefüllter Zinnbecher stand vor ihm.
    Die Flüssigkeit darin: beinahe klar, nur ein ganz kleines bisschen milchig. Wie die Augen seines Gegenübers.
    Es war, als würde er ungerade Gegenüberaugen schlürfen.
    Als die Kinder ins Öl glitten, freiwillig, singend, schmolzen sicherlich auch ihre Augen.
    Also noch nicht.
    Noch nicht genug.
    Er kippte den nächsten.
    Mittlerweile brannte kein heilendes Feuer mehr seine Kehle hinunter. Er spürte überhaupt nichts mehr, nicht einmal, ob er schluckte. Alles war taub. Mundtot . Nur oben in seinem Schädel breiteten sich Leere und Weite aus und pumpten schmerzend wie ein sehnsüchtiges Herz.
    Der Gegner nahm Anlauf, ohne sich zu bewegen. Er nickte und trank. Soff. Nichts ging daneben. Er versuchte nicht zu mogeln. Ein ehrenwerter Kontrahent, immerhin. Trotz seines abgerissenen Aussehens. Trotzdem er ihm in einem Kampf keinen Augenblick lang hätte standhalten können. Im Trinkerwettstreit war er ehrenhaft. Und nickte jedes Mal. Wie um sich einen Ruck zu geben. Oder um sich selbst zu bestätigen. Er überlegte, ob er zurücknicken sollte. Aber er ließ es. Davon würde ihm nur schwindelig. Keine überflüssigen Spielereien jetzt. Dies war Ernst, obwohl es aussah wie ein Spiel. Es ging, vielleicht, um Leben und Tod. Um Mund und Tod. Es ging, mit Sicherheit, darum, dass er vergaß. Das Vergessen in sich einbrannte als milchigen Sud ungerader Augen.
    »Noch einen.«
    Die Stimme des Schiedslings erinnerte ihn an irgendetwas. An irgendwen. Er

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