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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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noch: Je besser du bist, desto mehr lädst du die anderen ein, deine Güte auszunutzen.
    Dieser Mann, dieser Mensch hier lädt niemanden ein. Er schließt alle anderen aus, indem er sie, ihre Regeln und ihre Gesetze, ihre Zügel, ihre Hemmungen und ihre Lügen geringschätzt. Und er nimmt sich, was er will.
    Und warum tut er das? Weil es ihm zusteht!
    Kraft seines Mutes, die Regeln zu verletzen und sich auch selbst dabei der Verletzung auszusetzen. Er nimmt das in Kauf. Er schreckt nicht zurück. Und deshalb wird er immer die Oberhand behalten. Die Oberhand über uns Zaghafte, uns Zurückschreckende, uns winselnde, erbärmliche Feiglinge.
    Er stellt sich hin, so wie jetzt auf diesem Wagen, und fordert uns heraus. Er spuckt und scheißt auf unsere Werte. Auf unsere künstlich konstruierten Methoden, mit denen wir unsere Leben abzusichern trachten.
    Wenn wir IHN überwinden wollen, weil er uns ängstigt in seiner Unerbittlichkeit – was tun wir da? Greifen wir selbst zum Schwert und stellen uns ihm mannhaft in den Weg? Nein. Wir pfeifen nach den Bütteln! Pfeifen wie kleine Küken, die nach ihrer Mami rufen. Und lassen die dann unsere Interessen wahren. Und selbst wenn sie IHN dann bezwingen, wisst ihr eigentlich, was dann geschehen ist? Dann hat ER uns dennoch besiegt. Vernichtet geradezu. Denn wir mussten uns billiger Tricks bedienen, um seiner habhaft werden zu können. Wir mussten wie feige Totenbesinger eine Übermacht heraufbeschwören, um IHN in die Knie zu zwingen.
    Wir können nicht stolz sein auf so ein Gebaren. Wir können niemals stolz sein, niemals. Deshalb senken wir den Blick, wenn ER uns auf der Straße begegnet. Wir senken den Blick nicht nur, um keinen Ärger zu bekommen. Sondern auch, um unsere Scham zu verbergen, ihm in keiner Hinsicht gewachsen zu sein.
    Unsere Zivilisiertheit ist Schwäche, ist Demütigung, ist Irrweg!«
    Diesen Satz hatte er so laut gerufen, dass er von den Rückwänden des Raumes widerzuhallen schien.
    »Wir züchten die Menschen zu verzärtelten Pflänzchen heran, und dann kommen er und seinesgleichen wie ein Sturmgebrüll und entwurzeln alles, was wir hegten und pflegten. Sie kommen aus den Wäldern. Sie kommen aus den Wüsten. Sie kommen aus den Steppen. Sie kommen über das Meer. Und wo sind unsere Sicherheit und Überlegenheit, wenn er und seinesgleichen in großer Zahl vor unseren Toren stehen? Was ist dann derjenige von uns, der um sein Hab und Gut, sein Haus, sein Weib und seine Kinder schlottert, im Vergleich mit IHM, der dem Tod ins Angesicht lacht? Wie lange würden wir standzuhalten vermögen? Ich prophezeie: nicht mal eine einzige Nacht.
    Seht euch diesen Körper an.
    Diesen Mann.
    Diesen Menschen.
    Das sind Muskeln. Aber keine Muskeln, um voreinander zu prahlen und zu protzen. Das ist ein Körperbau des Umsetzens . Er dient der Schnelligkeit und der Kraft, der Gewandtheit und der reinen, massiven Wucht. Seht euch seine Augen an.« Jetzt stieg der Gelehrte zu dem Mann auf den Wagen und zerteilte ihm die Haare vorm Gesicht mit den Händen, sodass das Gesicht freigelegt wurde wie eine Ausgrabung aus Erdreich. Der Barbar ließ sich diese Berührung gefallen.
    »Der Blick ist klar und scharf, auch wenn er jetzt gerade gelangweilt ist von meinem Geschwafel und er sich unter euch allenfalls die Studentinnen herausschaut, deren Brüste am vorwitzigsten aus den Miedern quellen. Dieser Blick gibt ihm Kraft. Er ist unverstellt von Imaginationen. Er sieht, was da ist. Ist einer ein Feind oder ein Opfer? Ich wette, er hat nicht viele Freunde. Also sind alle, auch ich, erst mal Feinde oder Opfer. Und auch dies schärft den Blick.
    Sein Mund. Seht ihr seinen Mund?
    Den benutzt er niemals.
    Jedenfalls nicht zum Sprechen.
    Hört ihr mich reden? Die ganze Zeit rede ich. Jeden Tag meines armseligen Daseins stehe ich hier und rede. Und in einem kleinen, offenen Gefecht gegen diesen Mann, diesen Menschen wäre ich innerhalb weniger Augenblicke hoffnungslos unterlegen.
    Ich habe ihn in seinem Element gesehen, oh ja.« Nun stieg Indenkron wieder vom Wagen und ließ das Gesicht seiner Präsentation erneut hinter Haaren verschwinden.
    »Ich war einmal zugegen, als er zu Gast bei einer Hinrichtung war. Ich kann euch versichern: Es war ein eindrucksvoller Auftritt. Ich werde ihn mein Leben lang nicht vergessen. Ihm dagegen ist dieser Tag wahrscheinlich schon längst wieder entfallen. Weil er sich nicht besonders unterschied von allen anderen Tagen seines Lebens. Ich müsste mehrere Tafeln

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