Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
des Verstorbenen mit dem Namen des Autors des Buches verglichen habe, welches er bei seinem Eintritt ins Leichenhaus bei sich gehabt habe, habe er, da er gleichzeitig seitens der Polizei wenn nicht einen klaren Mißbrauch der Amtsgewalt, so doch eine gewisse Laxheit im Umgang mit dem Reglement geargwöhnt habe, die moralische Pflicht verspürt, den Verlag anzurufen, um über das Vorkommnis Bericht zu erstatten. Während ich ihm zuhörte, meinte ich sterben zu müssen. Mein erster Gedanke war, es handle sich um eine Falle Fumeros. Señor Gutiérrez drückte sich mit der Umständlichkeit des gewissenhaften Beamten aus, obwohl in seiner Stimme noch etwas mehr durchklang, etwas, was vermutlich nicht einmal er selbst hätte erklären können. Ich hatte den Anruf in Señor Cabestanys Büro entgegengenommen. Gott sei Dank war Alvaro schon zum Mittagessen gegangen, und ich war allein, sonst hätte ich die Tränen und das Zittern meiner Hände beim Halten des Hörers nur schwer erklären können.
Ich bedankte mich bei Señor Gutiérrez Fonseca für seinen Anruf mit der Förmlichkeit der verschlüsselten Gespräche. Kaum hatte ich aufgehängt, schloß ich die Bürotür und biß mir in die Fäuste, um nicht loszuschreien. Ich wusch mir das Gesicht und ging sogleich nach Hause, nachdem ich Alvaro eine Mitteilung hinterlassen hatte, ich sei krank und würde am nächsten Tag sehr früh kommen, um die Korrespondenz zu erledigen. Ich mußte mich zusammenreißen, damit ich auf der Straße nicht lief, sondern mit der grauen Bedächtigkeit dessen ging, der nichts zu verbergen hat. Als ich den Schlüssel ins Schloß der Wohnung steckte, sah ich, daß es aufgebrochen worden war. Ich war wie gelähmt. Von innen drehte sich langsam der Knauf. Ich fragte mich, ob ich nun so sterben müßte, in einem finsteren Treppenhaus und ohne zu wissen, was aus Miquel geworden war. Die Tür ging auf, und ich sah mich Julián Carax’ dunklem Blick gegenüber. Gott möge mir verzeihen, aber in diesem Augenblick dankte ich dem Himmel, daß er mir Julián statt Miquel zurückgegeben hatte.
Wir verschmolzen in einer unendlichen Umarmung, aber als ich seine Lippen suchte, wich Julián zurück und senkte die Augen. Ich schloß die Tür, nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Wir legten uns aufs Bett und umarmten uns schweigend.
Es dämmerte, und die Schatten in der Wohnung waren purpurrot. In der Ferne vernahm man vereinzelte Schüsse wie jeden Abend seit Kriegsbeginn. Julián weinte an meiner Brust, und ich spürte, daß mich eine Müdigkeit befiel, die sich den Worten entzog. Später, als es Nacht geworden war, fanden sich unsere Lippen, und im Schutz der Dunkelheit zogen wir uns aus. Ich wollte an Miquel denken, doch das Feuer dieser Hände auf meinem Bauch nahm mir Scham und Schmerz. Am liebsten hätte ich mich darin verloren und wäre nie mehr zurückgekommen, aber ich wußte, daß wir uns am Morgen, erschöpft und beschämt, nicht würden in die Augen schauen können, ohne uns zu fragen, wozu wir geworden waren.
10
Am Morgen weckte mich das Trommeln des Regens. Das Bett war leer, das Zimmer lag in grauem Dunkel.
Ich sah Julián an Miquels ehemaligem Schreibtisch sitzen, wo er mit den Fingern über die Tasten seiner Maschine strich. Er schaute auf und schenkte mir das laue, ferne Lächeln, das besagte, daß er nie mir gehören würde. Ich verspürte den Wunsch, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, ihn zu verletzen. Es wäre so leicht gewesen. Ihn wissen zu lassen, daß Penélope tot war. Daß er von Täuschungen lebte. Daß ich alles war, was er jetzt noch auf der Welt hatte.
»Ich hätte nie nach Barcelona zurückkommen dürfen«, murmelte er kopfschüttelnd.
Ich kniete neben ihm nieder.
»Was du suchst, ist nicht hier, Julián. Laß uns fortgehen, wir beide. Weit weg von hier. Solange noch Zeit ist.«
Er schaute mich unverwandt an.
»Du weißt etwas, was du mir nicht gesagt hast, stimmt’s?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf und biß mir auf die Lippen. Julián nickte nur.
»Heute abend werde ich wieder hingehen.«
»Julián, bitte …«
»Ich muß Gewißheit haben.«
»Dann geh ich mit.«
»Nein.«
»Das letzte Mal, daß ich hiergeblieben bin und gewartet habe, habe ich Miquel verloren. Wenn du gehst, komme ich mit.«
»Das geht dich nichts an, Nuria. Das ist etwas, was nur mich allein betrifft.«
Ich fragte mich, ob er tatsächlich nicht merkte, wie weh mir seine Worte taten, oder ob es ihm einfach egal war.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher