Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
können. Doch die Tür fiel ins Schloß und ließ mich im Dunkeln zurück. Ein Stich im linken Ohr durchbohrte mich, und ich wand mich vor Schmerz. Ich ertastete lauwarmes Blut. So gut es ging, stand ich auf. Die Bauchmuskeln, die den ersten Schlag eingesteckt hatten, brannten in einem Krampf, der erst jetzt einsetzte. Ich rutschte die Treppen hinunter. Als Don Saturno mich erblickte, schüttelte er den Kopf.
»Ach du liebe Güte, kommen Sie einen Moment rein, bis Sie wieder auf den Beinen sind …«
Ich schüttelte den Kopf und hielt mir den Magen. Die linke Seite des Kopfes pulsierte, als wollte sich das Fleisch von den Knochen lösen.
»Sie bluten ja«, sagte Don Saturno.
»Das ist nicht das erste Mal.«
»Machen Sie nur so weiter, dann werden Sie bald nichts mehr zu bluten haben. Na, kommen Sie rein, und ich rufe einen Arzt, tun Sie mir den Gefallen.«
Es gelang mir, den Ausgang zu erreichen und mich von der Gutwilligkeit des Pförtners zu befreien. Jetzt schneite es kräftig, die Gehwege waren weiß verschleiert. Der eisige Wind drang durch meine Kleider und leckte mir die blutende Wunde im Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich vor Schmerz, Wut oder Angst weinte. Gleichgültig verwischte der Schnee meine feigen Tränen, und ich ging langsam im pulvrigen Morgen davon.
2
Kurz vor der Kreuzung mit der Calle Balmes bemerkte ich, daß mir dicht am Gehweg ein Auto folgte. Die Kopfschmerzen waren einem Schwindelgefühl gewichen, das mich taumeln und an den Hausmauern Halt suchen ließ. Der Wagen hielt, und zwei Männer stiegen aus. Ein grelles Pfeifen dröhnte mir in den Ohren, so daß ich weder den Motor noch die Zurufe der zwei schwarzen Gestalten hören konnte, die mich von beiden Seiten faßten und eilig zum Auto schleppten. Völlig benommen vor Übelkeit, fiel ich auf den Rücksitz. Das Licht ging und kam wie blendend helle Ebbe und Flut. Ich spürte, daß sich der Wagen in Bewegung setzte. Zwei Hände tasteten mir Gesicht, Kopf und Rippen ab. Eine der Gestalten entdeckte Nuria Monforts in meinem Mantel verstecktes Manuskript und nahm es an sich. Mit Gelatinearmen wollte ich sie daran hindern. Die andere Gestalt beugte sich über mich. Offensichtlich sprach sie mit mir, denn ich fühlte ihren Atem im Gesicht. Ich erwartete Fumeros fahle Züge aufleuchten zu sehen und die Schneide seines Messers am Hals zu spüren. Ein Blick verfing sich in meinem, und während ich das Bewußtsein verlor, erkannte ich Fermín Romero de Torres’ zahnloses, zugetanes Lächeln.
Ich erwachte so schweißgebadet, daß es mich auf der Haut brannte. Zwei Hände stützten mich kräftig an den Schultern und betteten mich dann auf eine Pritsche, die mir wie bei einer Totenwache von Wachskerzen gesäumt schien. Rechts war Fermíns Gesicht zu sehen. Er lächelte, aber selbst in meinem Zustand bemerkte ich seine Unruhe. Neben ihm erkannte ich stehend Don Federico Flaviá, den Uhrmacher.
»Sieht aus, als kommt er wieder zu sich, Fermín«, sagte Don Federico. »Was halten Sie davon, wenn ich ihm etwas Fleischbrühe koche, um ihn ins Leben zurückzuholen?«
»Schaden kann es nicht. Und wenn Sie schon dabei sind, könnten Sie mir doch ein Sandwich machen, mit etwas, was Sie gerade finden – bei dieser Aufregung habe ich einen gewaltigen Kohldampf bekommen.«
Vornehm zog sich Don Federico zurück und ließ uns allein.
»Wo sind wir, Fermín?«
»An einem sicheren Ort. Technisch ausgedrückt, befinden wir uns in einer kleinen Wohnung im linken Teil des Ensanche, die Freunden von Don Federico gehört, dem wir unser Leben und mehr zu verdanken haben. Böse Zungen würden es als Absteige bezeichnen, aber für uns ist es ein Heiligtum.«
Ich versuchte mich aufzurichten. Der Schmerz im Ohr äußerte sich jetzt als brennendes Pulsieren.
»Werde ich taub bleiben?«
»Ob taub, weiß ich nicht, aber zum Deppen wären Sie beinahe geworden. Dieser Irre von Señor Aguilar hätte Ihnen um ein Haar das Hirn verflüssigt.«
»Das war nicht Señor Aguilar. Das war Tomás.«
»Tomás? Ihr Freund, der Erfinder?«
Ich nickte.
»Irgend etwas müssen Sie doch getan haben.«
»Bea ist von zu Hause weggegangen …«, setzte ich an.
Fermín runzelte die Stirn.
»Weiter.«
»Sie ist schwanger.«
Er blickte mich verdutzt an. Ausnahmsweise war sein Ausdruck undurchdringlich und ernst.
»Schauen Sie mich nicht so an, Fermín, um Gottes willen.«
»Was soll ich denn sonst tun? Zigarren verteilen?«
Ich versuchte aufzustehen, aber der Schmerz und Fermíns Hände hielten mich
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