Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
hier ist etwas anders, weil sie eine Dachwohnung ist. Da haben sie die Küche und eine Waschküche, die auf den Lichtschacht hinausgehen. Auf dem Gang sind drei Zimmer und am Ende ein Bad. Wenn sie hübsch eingerichtet sind, machen sie was her, nicht wahr. Das hier gleicht dem meiner Isabelita, auch wenn’s jetzt wie ein Grab aussieht.«
»Wissen Sie, welches Juliáns Zimmer war?«
»Die erste Tür ist das Hauptschlafzimmer. Die zweite gehört zu einem kleineren Raum. Vielleicht der, denke ich.«
Ich ging in den Gang hinein. Der Anstrich der Wände blätterte in Fetzen ab. Die Tür zum Bad am Ende des Flurs war angelehnt. Im Spiegel schaute mich ein Gesicht an. Es hätte meines oder das der Schwester sein können, die in den Spiegeln dieser Wohnung gelebt hatte. Ich versuchte die zweite Tür zu öffnen.
»Sie ist abgeschlossen«, sagte ich.
Verdutzt schaute mich die Pförtnerin an.
»Diese Türen haben kein Schloß«, murmelte sie.
»Die da schon.«
»Dann hat es bestimmt der Alte anbringen lassen – in den andern Wohnungen …«
Ich schaute auf den Boden und sah, daß die Fußspur im Staub zur geschlossenen Tür führte.
»Jemand ist in das Zimmer hineingegangen«, sagte ich. »Erst kürzlich.«
»Machen Sie mir keine Angst.«
Ich trat zur andern Tür. Sie hatte kein Schloß. Bei der leichtesten Berührung gab sie nach und glitt mit rostigem Knarren auf. In der Mitte stand ein ungemachtes altes Himmelbett. Die Laken waren gelb. Am Kopfende dominierte ein Kruzifix. Auf einer Kommode standen ein Spiegel, eine Schüssel und ein Krug und davor ein Stuhl. An der Wand ein halb offener Schrank. Ich ging um das Bett herum zu einem Nachttisch, auf dem unter einer Glasplatte Ahnenfotos, Totenzettel und Lotterielose festgeklemmt waren. Auf dem Tischchen eine hölzerne Musikdose und eine für immer um fünf Uhr zwanzig eingefrorene Taschenuhr. Ich versuchte die Musikdose aufzuziehen, aber nach sechs Tönen blieb die Melodie hängen. In der Schublade fand ich ein leeres Brillenetui, eine Nagelschere, ein Schnapsfläschchen und eine Medaille der Muttergottes von Lourdes. Sonst nichts.
»Irgendwo muß es doch einen Schlüssel für dieses Zimmer geben«, sagte ich.
»Der Verwalter wird ihn haben. Also ich würde sagen, wir gehen besser und …«
Wieder schaute ich auf die Musikdose. Ich klappte den Deckel auf und fand einen vergoldeten Schlüssel, der den Mechanismus blockierte. Als ich ihn ergriff, glöckelte die Dose weiter.
»Das muß der Schlüssel sein«, sagte ich lächelnd.
»Hören Sie, wenn das Zimmer verschlossen war, dann wird es einen Grund haben. Und sei es nur aus Respekt gegenüber der Erinnerung an …«
»Wenn es Ihnen lieber ist, können Sie in der Loge auf mich warten, Doña Aurora.«
»Sie sind ein Teufel. Los, machen Sie schon auf.«
3
Ein kalter Luftzug pfiff durchs Schlüsselloch und strich mir über die Finger, als ich den Schlüssel hineinsteckte. Doña Aurora schaute mich ängstlich an, als würden wir gleich den Opferstock der Kathedrale aufbrechen.
»Geht dieses Zimmer auf die Straße hinaus?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf.
»Es hat ein kleines Fenster, ein Luftloch, das auf den Lichtschacht führt.«
Ich stieß die Tür auf. Eine finstere, undurchdringliche Höhle tat sich vor uns auf. Das Fenster zum Schacht war mit vergilbten Zeitungsseiten abgedeckt. Ich riß sie weg, und ein Strahl milchigen Lichts durchbohrte das Dunkel.
»Jesus, Maria und Josef«, murmelte die Pförtnerin neben mir.
Das Zimmer ertrank in Kruzifixen. Zu Dutzenden hingen sie an Schnüren vom Balkenwerk und bedeckten an Nägeln die Wände. Man konnte sie in den Ecken erahnen, mit dem Messer in die Möbel geritzt, auf die Fliesen gekratzt, rot auf die Spiegel gemalt. Die Fußspuren, die zur Türschwelle führten, zeichneten im Staub einen Weg um ein bis auf den Sprungfederrahmen entblößtes Bett herum, nur noch ein Skelett aus Draht und wurmstichigem Holz. Unter dem Fenster zum Schacht war an der Wand eine Schreibkonsole befestigt, und darauf stand ein Trio von Metallkruzifixen. Ich öffnete sie vorsichtig. In den Fugen des Holzbalgs lag kein Staub, so daß ich annehmen durfte, daß sie vor nicht allzu langer Zeit geöffnet worden war. Sie hatte sechs Schubladen, deren Schlösser aufgebrochen worden waren. Ich untersuchte sie eine nach der andern. Leer.
Dann kniete ich vor der Konsole nieder. Ich betastete die Kratzer im Holz und stellte mir Julián Carax’ Hände vor, die diese Kritzeleien und Hieroglyphen
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