Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
seufzte und rieb sich die Augen.
»Sie haben gute Freunde, Martín. Im Leben ist es wichtig, gute Freunde zu haben, und vor allem, sie sich zu erhalten. So wichtig, wie zu erkennen, wann man sich darauf versteift, einen falschen Weg zu beschreiten.«
»Das wird doch nicht der Weg sein, der durch das Haus Marlasca führt, in der Carretera de Vallvidrera 13?«
Valera lächelte geduldig, als wiese er nachsichtig ein ungezogenes Kind zurecht.
»Señor Martín, glauben Sie mir, je weiter Sie sich von diesem Haus und dieser ganzen Geschichte fernhalten, desto besser für Sie. Nehmen Sie von mir wenigstens diesen Rat an.«
Der Fahrer bog in den Paseo de Colón ein, um dann durch die Calle Comercio zum Paseo del Born zu gelangen. Vor dem großen Marktgelände stauten sich bereits die Karren mit Fleisch und Fisch, Eis und Gewürzen. Neben uns luden ein paar Burschen ein aufgeschlitztes Kalb ab und hinterließen eine Blut- und Dunstspur, die in der Luft zu riechen war.
»Ein Viertel voller Charme und pittoresker Bilder, das sie da haben, Señor Martín.«
Der Fahrer hielt an der Einmündung der Calle Flassaders und stieg aus, um uns die Tür zu öffnen. Der Anwalt stieg ebenfalls aus.
»Ich begleite Sie zur Tür«, sagte er.
»Man wird uns für ein Paar halten.«
Wir gingen durch die dunkle Schlucht der Gasse zu meinem Haus. Vor der Tür gab mir der Anwalt mit professioneller Höflichkeit die Hand.
»Danke, dass Sie mich da herausgeholt haben«, sagte ich.
»Danken Sie nicht mir dafür.« Er zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels.
Ich erkannte das Engelssiegel sogar im Dämmerlicht, das von der Lampe an der Mauer über unseren Köpfen troff. Valera übergab mir den Umschlag und kehrte nach einem letzten Nicken zum Auto zurück. Ich schloss die Haustür auf, und in der Wohnung ging ich direkt in mein Arbeitszimmer, wo ich den Umschlag öffnete und das zusammengefaltete Blatt mit den kunstvollen Schriftzügen des Patrons herauszog.
Lieber Martín,
ich hoffe und wünsche mir, dass diese Note Sie in guter körperlicher und seelischer Verfassung antrifft. Die Umstände erfordern es, dass ich kurz in der Stadt bin, und es würde mich sehr freuen, an diesem Freitag um sieben Uhr abends im Billardraum des Reitklubs in den Genuss Ihrer Gesellschaft zu kommen, um über die Fortschritte unseres Projekts zu sprechen.
Bis dahin grüßt Sie herzlich Ihr Freund
Andreas Corelli
Ich faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es behutsam in den Umschlag. Dann zündete ich ein Streichholz an, ergriff das Kuvert an einer Ecke und hielt es über die Flamme. Ich sah zu, wie es brannte, bis der Lack scharlachrot auf den Schreibtisch tropfte und meine Finger voller Asche waren.
»Fahren Sie zur Hölle«, murmelte ich, während mir die Nacht jenseits der Fenster finsterer vorkam denn je.
36
Im Arbeitszimmer wartete ich im Sessel auf eine Morgendämmerung, die nicht kommen wollte, bis mich die Wut aus dem Haus trieb, um der Warnung von Anwalt Valera zu trotzen. Draußen pfiff die schneidende Kälte, die im Winter dem Tagesanbruch vorangeht. Beim Überqueren des Paseo del Born glaubte ich Schritte hinter mir zu hören. Ich sah mich um, erblickte aber niemanden außer den Marktburschen, die die Wagen abluden, und setzte meinen Weg fort. Auf der Plaza del Palacio sichtete ich im Dunst, der vom Hafen heranzog, die Lichter der ersten Straßenbahn. Schon sah ich über der Oberleitung blaue Funken sprühen. Ich stieg ein und setzte mich ganz nach vorn. Den Fahrschein händigte mir derselbe Schaffner wie beim vorigen Mal aus. Nach und nach tröpfelte ein Dutzend Fahrgäste herein, alle allein. Wenige Minuten später ruckte die Bahn los, während sich am Himmel zwischen schwarzen Wolken ein Netz rötlicher Kapillaren aufspannte. Man musste kein Dichter oder Weiser sein, um zu wissen, dass es kein schöner Tag werden würde.
Als wir in Sarrià eintrafen, war der Tag mit einem fahlen Licht angebrochen, in dem alles farblos schien. Ich stieg die einsamen Gassen des Viertels zur Flanke des Berges hinauf. Wieder glaubte ich bisweilen Schritte hinter mir zu hören, aber immer, wenn ich stehen blieb und mich umschaute, war niemand da. In dem Gässchen, das zum Haus Marlasca führte, bahnte ich mir einen Weg durch die Laubdecke, die unter meinen Füßen raschelte. Langsam ging ich durch den Patio und stieg die Stufen zur Haustür hinauf, wo ich seitlich durch die Fenster spähte. Ich ließ den Türklopfer
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