Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Kamin in der Veranda. Dann setzte ich mich vor den Flammen auf den Boden. Meine Hände zitterten, ich wusste nicht, ob vor Kälte oder vor Angst. Während ich darauf wartete, dass es warm wurde, betrachtete ich das Netz aus weißem Licht, das die Blitze an den Himmel zeichneten.
Der Regen ließ lange auf sich warten, dann aber stürzte er in wilden Tropfenvorhängen nieder, die in Minutenschnelle alles Licht erstickten, Dächer und Gassen ertränkten und Wände und Scheiben peitschten. Dank Kohlenbecken und Kaminfeuer erwärmte sich die Wohnung langsam, aber mir war immer noch kalt. Ich ging ins Schlafzimmer, um Decken zu holen und mich einzuwickeln. Ich öffnete den Schrank und begann, unten in den beiden großen Schubladen zu wühlen. Das Kästchen war noch da, ganz hinten versteckt. Ich legte es aufs Bett.
Ich betrachtete die alte Pistole meines Vaters, das Einzige, was mir von ihm geblieben war. Mit dem Zeigefinger streichelte ich den Abzug. Aus dem Munitionsfach im doppelten Boden des Kästchens nahm ich sechs Kugeln und steckte sie in die Trommel. Dann legte ich das Kästchen auf den Nachttisch und ging mit der Pistole und einer Decke in die Veranda zurück. Eingemummt, die Waffe auf der Brust, legte ich mich aufs Sofa und verlor mich in der Betrachtung des Gewitters vor dem Fenster. Ich hörte die Uhr auf dem Kaminsims ticken und brauchte nicht hinzuschauen, um zu wissen, dass bis zum Treffen mit dem Patron im Billardraum des Reitklubs nur noch eine halbe Stunde fehlte.
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie er durch die menschenleeren, überschwemmten Straßen der Stadt fuhr, stellte ihn mir im Fond seines Wagens vor, in der Dunkelheit glänzten seine goldenen Augen, während sich der Silberengel auf der Kühlerhaube des Rolls-Royce einen Weg durchs Gewitter bahnte. Ich dachte ihn mir reglos wie eine Statue, weder atmend noch lächelnd, ohne jeden Ausdruck. Gleich darauf hörte ich das brennende Holz knacken und hinter den Scheiben den Regen prasseln. Ich schlief mit der Waffe in den Händen und der Gewissheit ein, dass ich nicht zu dem Treffen gehen würde.
Kurz nach Mitternacht öffnete ich die Augen. Das Feuer war fast niedergebrannt, und die Veranda lag in dem tanzenden Dämmerlicht, das die letzte Glut in den Raum warf. Noch immer regnete es in Strömen. Die Pistole war nach wie vor in meinen Händen, jetzt lauwarm. Einige Sekunden blieb ich liegen, ohne zu blinzeln. Ich wusste, dass jemand vor der Tür stand, noch bevor ich das Klopfen hörte.
Ich warf die Decke ab und richtete mich auf. Wieder das Klopfen. Fingerknöchel an der Wohnungstür. Mit der Waffe in der Hand stand ich auf und trat in den Korridor hinaus. Erneutes Klopfen. Ich ging einige Schritte auf die Tür zu und blieb stehen. Ich stellte ihn mir vor, wie er lächelnd auf dem Treppenabsatz stand, wie der Engel am Revers in der Dunkelheit leuchtete. Ich spannte die Pistole. Und abermals wurde angeklopft. Ich wollte das Licht anschalten, doch es gab keinen Strom. Ich ging weiter, bis zur Tür. Den Deckel des Gucklochs zurückzuschieben traute ich mich nicht. Reglos blieb ich stehen, fast ohne zu atmen, und richtete die Waffe auf die Tür.
»Gehen Sie«, rief ich mit kraftloser Stimme.
Da hörte ich auf der anderen Seite ein Weinen und ließ die Waffe sinken. Ich öffnete die Tür zur Dunkelheit, und da stand sie. Ihre Kleider waren durchnässt, und sie zitterte. Ihre Haut war eiskalt. Als sie mich erblickte, wäre sie mir beinahe ohnmächtig in die Arme gefallen. Ich hielt sie fest und drückte sie wortlos an mich. Sie lächelte mich matt an, und als ich die Hand an ihre Wange hob, küsste sie sie mit geschlossenen Augen.
»Verzeih mir«, flüsterte sie.
Cristina öffnete die Augen wieder und schaute mich mit diesem verwundeten, gebrochenen Blick an, der mich selbst in die Hölle verfolgt hätte. Ich lächelte.
»Willkommen zuhause.«
38
Ich zog sie im Kerzenlicht aus. Befreite sie von den mit schlammigem Wasser vollgesaugten Schuhen, dem durchweichten Kleid, den zerrissenen Strümpfen. Trocknete ihr den Körper und die Haare mit einem Tuch. Sie zitterte immer noch vor Kälte, als ich sie ins Bett legte und mich neben sie, um sie zu umarmen und zu wärmen. So blieben wir lange liegen, schweigend, und hörten dem Regen zu. Mit der Zeit spürte ich, wie ihr Körper unter meinen Händen auftaute, und sie begann tief zu atmen. Ich dachte schon, sie sei eingeschlafen, als ich sie im Halbdunkel sagen hörte:
»Deine
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