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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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dreimal fallen und trat einige Schritte zurück. Als ich nach einer Minute keine Antwort bekam, klopfte ich abermals. Das Echo der Schläge verlor sich im Inneren. »Hallo?«, rief ich.
    Die Bäume, die das Haus umgaben, schienen den Klang meiner Stimme zu verschlucken. Ich ging ums Haus herum bis in den Garten mit dem Schwimmbecken und von dort zu der verglasten Veranda. Die Fenster waren hinter halb geschlossenen Holzläden verborgen, sodass man nicht hineinsehen konnte. Eines der Fenster, direkt neben der Glastür der Veranda, war nur angelehnt. Durch die Scheibe war der Türriegel zu erkennen, und als ich mit dem Arm durch das offene Fenster langte, konnte ich ihn zurückzuschieben. Die Tür gab mit einem metallischen Geräusch nach. Ich sah mich noch einmal um und vergewisserte mich, dass niemand da war, dann trat ich ein.
     
    Sowie sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, wurden die Konturen des Zimmers erkennbar. Ich drückte leicht die Fensterläden auf, um ein wenig Licht hereinzulassen. Ein Fächer aus Strahlen ließ die Gegenstände im Raum hervortreten. »Jemand da?«, rief ich.
    Meine Stimme verlor sich im Haus wie eine Münze in einem bodenlosen Schacht. Ich ging quer durch den Raum, wo ein gebogener, mit Holz verzierter Durchgang auf einen dunklen Korridor hinausführte. Zu beiden Seiten hingen an samtbezogenen Wänden verschwommene Gemälde. Am Ende des Korridors öffnete sich ein großer runder Salon mit Mosaikböden und einem Wandbild wie Email, auf dem eine weiße Engelsgestalt mit ausgestrecktem Arm und Fingern aus Feuer zu sehen war. Eine breite Steintreppe führte an den Wänden des Raums entlang in einer Spirale nach oben. An ihrem Fuß blieb ich stehen und rief erneut.
    »Hallo? Señora Marlasca?«
    Das Haus lag in vollkommener Stille da, meine Worte verklangen in einem schwachen Widerhall. Ich stieg zum ersten Stock hinauf und blieb auf dem Treppenabsatz stehen, von dem aus man den Salon mit dem Wandbild überblicken konnte. Ich sah meine Fußabdrücke in der Staubschicht auf dem Boden. Außerdem sah ich im Staub eine Art Gleis aus zwei parallelen Linien im Abstand von zwei oder drei Handbreit und dazwischen Fußabdrücke. Große Fußabdrücke. Verwirrt betrachtete ich diese Spur, bis mir aufging, was ich da sah. Die Spur eines Rollstuhls und die Fußstapfen der Person, die ihn geschoben hatte.
    Ich glaubte hinter mir ein Geräusch zu hören und wandte mich um. Eine angelehnte Tür am Ende des Flurs bewegte sich leicht. Ein kalter Wind kam von dort. Langsam ging ich auf die Tür zu. Dabei warf ich einen Blick in die Zimmer auf beiden Seiten – Schlafzimmer, deren Möbel mit weißen Tüchern zugedeckt waren. Die geschlossenen Fenster und das stickige Halbdunkel ließen ahnen, dass sie seit langem unbenutzt waren, mit Ausnahme eines etwas größeren Raums, in dem sich ein Ehebett befand. Ich trat ein und roch die seltsame Mischung aus Parfüm und Krankheit, die alte Menschen verströmen. Vermutlich war dies das Zimmer der Witwe Marlasca, aber nichts deutete auf ihre Anwesenheit hin.
    Das Bett war ordentlich gemacht. Davor stand eine Kommode mit einer Reihe gerahmter Porträts. Ausnahmslos auf allen war ein Junge mit hellen Haaren und fröhlichem Gesicht zu sehen. Ismael Marlasca. Auf einigen posierte er mit seiner Mutter oder mit anderen Kindern. Nirgends erschien Diego Marlasca.
    Wieder schreckte mich das Geräusch einer klappenden Tür auf, und ich verließ das Schlafzimmer und die Fotos. Die Tür am Ende des Flurs bewegte sich immer noch leicht. Bevor ich eintrat, hielt ich einen Augenblick inne und atmete tief ein, dann stieß ich die Tür auf.
    Alles war weiß. Wände und Decke waren makellos weiß gestrichen. Weiße Seidengardinen. Ein kleines, mit weißen Tüchern bezogenes Bett. Ein weißer Teppich. Weiße Regale und Schränke. Nach dem Halbdunkel im übrigen Haus war ich von so viel Helligkeit einige Sekunden lang geblendet. Der Raum schien einem Traum, einer Märchenphantasie entsprungen. In den Regalen Spielzeuge und Märchenbücher. Vor einem Toilettentisch saß ein lebensgroßer Harlekin aus Porzellan und betrachtete sich im Spiegel. An der Decke hing ein Mobile aus weißen Vögeln. Auf den ersten Blick wirkte es wie das Zimmer eines verhätschelten Kindes, Ismael Marlasca, aber es hatte die beklemmende Atmosphäre einer Totenkammer.
     
    Ich setzte mich aufs Bett. Erst jetzt merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war der Geruch – ein süßlicher Gestank lag

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