Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
immer herzlich Ihr Freund
Andreas Corelli
Ich zerknüllte den Brief in der Faust und steckte das Knäuel in die Tasche. Leise betrat ich die Wohnung und drückte vorsichtig die Tür ins Schloss. Ich spähte ins Schlafzimmer und sah, dass Cristina noch schlief. Ich ging in die Küche und bereitete Kaffee und ein kleines Frühstück. Nach wenigen Minuten hörte ich Cristinas Schritte. In einem alten Pullover von mir, der ihr bis zur Mitte der Schenkel reichte, stand sie auf der Schwelle und schaute mir zu. Ihre Haare waren zerzaust, die Augen geschwollen. Auf den Lippen und Wangenknochen hatten ihre Schläge dunkle Flecken hinterlassen, als hätte ich sie kräftig geohrfeigt. Sie wich meinem Blick aus.
»Entschuldige«, murmelte sie.
»Hast du Hunger?«, fragte ich.
Ich ignorierte ihr Kopfschütteln und lud sie ein, sich zu setzen, und stellte eine Tasse Milchkaffee mit Zucker sowie eine Scheibe frischgebackenes Brot mit Käse und ein wenig Schinken vor sie hin. Sie machte keinerlei Anstalten, etwas anzurühren.
»Nur einen Bissen«, sagte ich.
Sie spielte lustlos mit dem Käse herum und lächelte schwach.
»Gut«, sagte sie.
»Wenn du ihn probierst, wird er dir noch besser gefallen.«
Wir aßen schweigend. Zu meiner Überraschung leerte Cristina ihren Teller zur Hälfte. Dann verbarg sie sich hinter der Kaffeetasse und schaute mich flüchtig an.
»Wenn du willst, gehe ich noch heute«, sagte sie schließlich. »Mach dir keine Sorgen – Pedro hat mir Geld gegeben, und …«
»Du sollst nirgendwo hingehen. Du sollst nie wieder weggehen, hörst du?«
»Ich bin keine gute Gesellschaft, David.«
»Dann sind wir ja schon zwei.«
»Hast du das ernst gemeint? Weit weg zu gehen?« Ich nickte.
»Mein Vater hat immer gesagt, das Leben gibt niemandem eine zweite Chance.«
»Es gewährt sie nur denen, denen es nie eine erste gegeben hat. Eigentlich sind es Chancen aus zweiter Hand, die jemand nicht wahrzunehmen verstand, aber sie sind besser als gar nichts.«
Sie lächelte schwach.
»Komm mit spazieren«, sagte sie unversehens.
»Wo willst du denn hin?«
»Mich von Barcelona verabschieden.«
40
Gegen Abend brach durch die Wolkendecke, Überbleibsel des Gewitters, die Sonne hindurch. Die regenglänzenden Straßen wurden zu bernsteinfarbenen Spiegeln, auf denen die Passanten ihrer Wege gingen. Ich erinnere mich, dass wir zum Anfang der Ramblas spazierten, wo das Kolumbus-Denkmal aus dem Dunst ragte. Wir schritten schweigsam dahin, betrachteten die Fassaden und die Menschenmenge, als wären sie Luftspiegelungen, als wäre die Stadt bereits verlassen und vergessen. Nie war mir Barcelona so schön und so traurig erschienen wie an diesem Abend. Als es dunkel wurde, gingen wir zu Sempere und Söhne und stellten uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einen Hauseingang, wo uns niemand sehen konnte. Das Schaufenster der alten Buchhandlung warf einen schwachen Schimmer auf die feucht glitzernden Pflastersteine. Im Inneren sah man Isabella auf einer Leiter Bücher ins oberste Regalfach einordnen, während Sempere junior hinter dem Ladentisch vorgab, ein Geschäftsbuch durchzugehen, und dabei zu ihren Knöcheln hinaufschielte. Señor Sempere, alt und müde in einer Ecke sitzend, beobachtete sie mit traurigem Lächeln.
»Fast alles Gute in meinem Leben ist mir an diesem Ort begegnet«, sagte ich. »Ich mag dort nicht auf Wiedersehen sagen.«
Als wir zum Haus mit dem Turm zurückkamen, war es schon dunkel. In der Wohnung empfing uns die Wärme des Feuers, das ich hatte brennen lassen. Cristina ging durch den Korridor voran und zog sich wortlos aus, eine Kleiderspur hinter sich zurücklassend. Ich legte mich neben sie aufs Bett, wo sie mich erwartete, und ließ sie meine Hände führen. Während ich sie streichelte, spannten sich unter der Haut ihre Muskeln. In ihren Augen lag nichts Sanftes, sondern nur Dringlichkeit und ein Verlangen nach Wärme. Ich verlor mich in ihrem Körper, fiel hungrig über sie her und spürte dabei ihre Nägel in meiner Haut. Sie stöhnte vor Schmerz und Leben, als bekäme sie keine Luft. Schließlich ließen wir erschöpft und schweißbedeckt voneinander ab. Cristina legte den Kopf an meine Schulter und suchte meinen Blick.
»Deine Freundin hat mir gesagt, du seist in Schwierigkeiten.«
»Isabella?«
»Sie macht sich große Sorgen um dich.« »Isabella gefällt sich manchmal in der Rolle meiner Mutter.«
»Ich denke nicht, dass das der Punkt ist.« Ich mied ihre
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