Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Augen.
»Sie hat mir erzählt, du arbeitest an einem neuen Buch, einem Auftrag für einen französischen Verleger. Sie nennt ihn Patron. Sie sagt, er zahle dir ein Vermögen, aber du würdest dich schuldig fühlen, weil du das Geld angenommen hast. Sie sagt, du hättest Angst vor diesem Mann, dem Patron, und das Ganze sei ziemlich undurchsichtig.«
Ich stöhnte gereizt.
»Gibt es irgendetwas, was dir Isabella nicht erzählt hat?«
»Alles andere geht nur Isabella und mich etwas an«. Sie zwinkerte mir zu. »Hat sie etwa gelogen?«
»Sie hat nicht gelogen, sie hat spekuliert.«
»Und wovon handelt das Buch?«
»Es ist ein Kindermärchen.«
»Isabella war sicher, dass du das sagen würdest.«
»Wenn dir Isabella schon alle Antworten gegeben hat, wozu fragst du dann?«
Sie schaute mich ernst an.
»Zu deiner Beruhigung, und zu der von Isabella, ich habe das Buch aufgegeben. C’est fini«, versicherte ich. »Wann?«
»Heute Morgen, als du noch geschlafen hast.« Skeptisch runzelte sie die Stirn.
»Und dieser Mann, der Patron, weiß er es?«
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Aber vermutlich kann er es sich denken. Und wenn nicht, wird er es sehr bald erfahren.«
»Wirst du ihm dann das Geld zurückgeben müssen?«
»Ich glaube, das Geld interessiert ihn keinen Deut.«
Cristina verfiel in ein langes Schweigen.
»Darf ich es lesen?«, fragte sie dann.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es ist ein Entwurf ohne Hand und Fuß. Eine Ansammlung von Gedanken und Notizen, lose Fragmente. Nichts Lesbares. Es würde dich langweilen.«
»Ich würde es trotzdem gern lesen.«
»Warum?«
»Weil du es geschrieben hast. Pedro sagt immer, die einzige Art, einen Schriftsteller wirklich kennenzulernen, sei der Tintenspur zu folgen, die er hinterlässt. Der Mensch, den man zu sehen glaube, sei nur eine Hülle, und die Wahrheit stecke immer in der Dichtung.«
»Das muss er auf einer Ansichtskarte gelesen haben.«
»Er hat es aus einem deiner Bücher. Ich weiß es, weil ich es auch gelesen habe.«
»Das Plagiat erhebt es nicht über den Rang einer Albernheit.«
»Ich finde, es hat Gehalt.«
»Dann muss es wohl stimmen.«
»Darf ich es also lesen?«
»Nein.«
Am Küchentisch, einander gegenüber, aßen wir am Abend, was noch an Brot und Käse vom Nachmittag da war, und sahen uns ab und zu an. Cristina kaute ohne Appetit und prüfte jeden Bissen Brot im Licht der Öllampe, bevor sie ihn zum Mund führte.
»Es gibt einen Zug, der morgen Mittag vom Francia-Bahnhof aus nach Paris fährt«, sagte sie. »Ist das zu bald?«
In meinem Kopf wurde ich das Bild nicht los, dass Andreas Corelli die Treppe heraufstieg und jeden Moment an die Tür klopfte.
»Vermutlich nicht.«
»Ich kenne ein kleines Hotel gegenüber dem Jardin du Luxembourg, das monateweise Zimmer vermietet. Es ist ein wenig teuer, aber …«
Ich mochte sie nicht fragen, woher sie das Hotel kannte.
»Der Preis spielt keine Rolle, aber ich spreche kein Französisch«, sagte ich.
»Aber ich.«
Ich senkte den Blick.
»Schau mir in die Augen, David.«
Widerwillig blickte ich auf.
»Wenn ich lieber gehen soll …«
Ich schüttelte heftig den Kopf. Sie nahm meine Hand und führte sie an die Lippen.
»Es wird alles gut, du wirst schon sehen«, sagte sie. »Es wird das erste Mal in meinem Leben sein, dass alles gut wird.«
Ich schaute sie an, eine gebrochene Frau im Halbdunkel mit Tränen in den Augen, und wünschte mir nichts sehnlicher, als ihr endlich zu geben, was sie nie gehabt hatte.
Unter zwei Decken legten wir uns in der Veranda aufs Sofa und schauten in die Glut im Kamin. Während ich Cristinas Haar streichelte, schlief ich mit dem Gedanken ein, dass dies die letzte Nacht in diesem Haus war, dem Gefängnis meiner Jugend. Ich träumte, ich laufe durch die Straßen eines Barcelona voller Uhren, deren Zeiger sich entgegen dem Uhrzeigersinn drehten. Gassen und Alleen bogen und krümmten sich wie Tunnel mit eigenem Willen, wenn ich sie passierte, und bildeten ein lebendes Labyrinth, das alle meine Versuche weiterzukommen zu verhöhnen schien. Schließlich gelang es mir unter einer Mittagssonne, die vom Himmel herunterbrannte wie eine glühende Metallkugel, den Francia-Bahnhof zu erreichen, wo ich zum Bahnsteig hastete. Dort glitt eben der Zug hinaus. Ich rannte ihm hinterher, aber er beschleunigte rasch, und obwohl ich alles gab, konnte ich ihn nur noch mit den Fingerspitzen berühren. Ich rannte weiter, bis ich keinen Atem mehr hatte und am Ende des
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