Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
ich einen weißen Umschlag mit rotem Lacksiegel, den ich nicht einmal aufhob – ich wusste, dass er eine Erinnerung an das Treffen mit dem Patron enthielt, dem ich an diesem Abend in der alten Villa am Park Güell das Manuskript übergeben sollte. Im Dunkeln stieg ich die Treppe hinauf und öffnete die Wohnungstür. Ich machte kein Licht, sondern ging direkt ins Arbeitszimmer hinauf. Am Fenster stehend, betrachtete ich im höllischen Schein dieses entflammten Himmels den Raum. Ich stellte sie mir vor, so, wie sie es beschrieben hatte, wie sie vor der Truhe kniete, sie öffnete und die Mappe mit dem Manuskript herausnahm, wie sie diese verfluchten Seiten las in der Gewissheit, sie vernichten zu müssen, wie sie die Streichhölzer anzündete und die Flamme ans Papier hielt.
Da war noch jemand in der Wohnung.
Ich ging auf die Truhe zu, blieb aber einige Schritte davor stehen, als befände ich mich hinter Cristina und würde ihr nachspionieren. Dann öffnete ich die Truhe. Das Manuskript war noch da und erwartete mich. Ich streckte die Hand aus und strich mit den Fingern zärtlich über die Mappe. Da sah ich es unten in der Truhe silbern glitzern wie eine Perle auf dem Grund eines Teichs. Ich nahm den Gegenstand und betrachtete ihn im Licht des blutigen Himmels. Die Engelsbrosche.
»Verdammter Schweinehund«, hörte ich mich sagen.
Ich holte das Kästchen mit der alten Pistole meines Vaters aus dem Schrank und vergewisserte mich, dass die Trommel geladen war. Die restliche Munition verwahrte ich in meiner linken Manteltasche, die in ein Tuch gehüllte Waffe steckte ich in die rechte. Vor dem Hinausgehen betrachtete ich einen Augenblick den Fremden, der mich im Vorraum aus dem Spiegel anschaute. Ich lächelte, während der Friede des Hasses in meinen Adern loderte, und trat in die Nacht hinaus.
12
Andreas Corellis Haus ragte auf seiner Erhebung zur roten Wolkendecke empor. Dahinter wiegte sich der Schattenwald des Park Güell. Die Brise bewegte die Äste, und das Laub zischte in der Dunkelheit wie Schlangen. Ich musterte die Fassade. Im ganzen Haus brannte kein einziges Licht, die Fensterläden waren geschlossen. In meinem Rücken hörte ich die Hunde hecheln, die hinter der Parkmauer umherstreiften und meine Schritte verfolgten. Ich zog die Pistole aus der Tasche und wandte mich dem Gittertor am Parkeingang zu, wo die Silhouetten der Tiere zu sehen waren, fließende, in der Dunkelheit lauernde Schatten.
An Corellis Haustür ließ ich den Klopfer dreimal kurz fallen. Ich erwartete keine Antwort. Wenn nötig hätte ich das Schloss aufgeschossen, doch die Tür war nicht verriegelt. Ich drehte den Bronzeknauf, bis sich die Falle zurückzog und die schwere Eichentür langsam nach innen glitt. Vor mir tat sich der lange Korridor auf. Die Staubschicht auf dem Boden schimmerte wie feiner Sand. Nach einigen Schritten kam ich zu der Treppe, die auf der einen Seite der Eingangshalle in die Höhe führte und in einer Schattenspirale verschwand. Ich ging durch den Korridor auf den Salon zu. Von den alten gerahmten Fotografien an den Wänden verfolgten mich Dutzende Blicke. Außer meinen Schritten und meinem Atem war kein Laut zu hören. Am Ende des Korridors blieb ich stehen. Das Nachtlicht sickerte durch die Läden und formte rötliche Klingen. Ich hob die Pistole, trat in den Salon und wartete, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Möbel standen noch genauso da, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber selbst in dem schwachen Licht konnte man erkennen, dass sie alt und staubbedeckt waren. Wracks. Die Vorhänge waren zerfranst, und der Anstrich blätterte von den Wänden wie Schuppen. Ich steuerte eines der hohen Fenster an, um die Läden zu öffnen und etwas mehr Licht hereinzulassen. Als ich noch zwei Meter vom Balkon entfernt war, merkte ich, dass ich nicht allein war. Wie erstarrt hielt ich inne und drehte mich dann langsam um.
Die Gestalt war deutlich auszumachen, in dem gewohnten Sessel in der Ecke. In dem durch die Läden sickernden Licht sah ich die glänzenden Schuhe und die Umrisse des Anzugs. Das Gesicht lag völlig im Dunkeln, aber ich wusste, dass es mich ansah. Und dass es lächelte. Ich hob die Pistole und zielte.
»Ich weiß, was Sie getan haben«, sagte ich.
Corelli bewegte keinen Muskel, hockte reglos da wie eine Spinne. Ich tat einen Schritt auf ihn zu und zielte aufs Gesicht. In der Dunkelheit glaubte ich einen Seufzer zu hören, für einen Augenblick fiel das rötliche Licht
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