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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Cristina …«
    »Lüg mich nicht an. Ich habe es gelesen, David. Zumindest so viel, um zu erkennen, dass ich es vernichten musste …«
    »Mach dir deswegen jetzt keine Sorgen. Ich habe dir ja gesagt, dass ich das Manuskript vergessen habe.«
    »Aber er hat dich nicht vergessen. Ich habe versucht, es zu verbrennen …«
    Als ich sie das sagen hörte, ließ ich einen Moment lang ihre Hand los – bei der Erinnerung an die verbrannten Streichhölzer auf dem Boden des Arbeitszimmers musste ich eine kalte Wut unterdrücken.
    »Du hast versucht, es zu verbrennen?«
    »Aber ich konnte nicht«, flüsterte sie. »Da war noch jemand in der Wohnung.«
    »Niemand war in der Wohnung, Cristina. Niemand.«
    »Sowie ich das Streichholz angezündet hatte und es ans Manuskript hielt, hörte ich ihn hinter mir. Ich habe einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen und bin hingefallen.«
    »Wer hat dich geschlagen?«
    »Alles war ganz dunkel, als hätte sich das Tageslicht zurückgezogen und könnte nicht mehr herein. Ich drehte mich um, aber alles war ganz dunkel. Ich habe nur seine Augen gesehen. Augen wie von einem Wolf.«
    »Cristina …«
    »Er hat mir das Manuskript aus den Händen genommen und wieder in die Truhe gelegt.«
    »Cristina, es geht dir nicht gut. Lass mich den Doktor holen und …«
    »Du hörst mir nicht zu.«
    Lächelnd küsste ich sie auf die Stirn.
    »Natürlich höre ich dir zu. Aber es war niemand sonst in der Wohnung …«
    Sie schloss die Augen, wandte den Kopf ab und stöhnte, als würden ihr meine Worte die Eingeweide umdrehen.
    »Ich hole den Doktor …«
    Ich beugte mich über sie, um sie wieder zu küssen. Dann ging ich, ihren Blick im Rücken spürend, zur Tür. »Feigling«, sagte sie.
    Als ich mit Dr. Sanjuán ins Zimmer zurückkam, hatte Cristina eben den letzten Riemen gelöst und wankte auf die Tür zu, blutige Fußspuren auf den weißen Fliesen hinterlassend. Gemeinsam hielten wir sie fest und legten sie wieder aufs Bett. Sie schrie und wehrte sich so verbissen, dass einem das Blut in den Adern gefror. Der Lärm alarmierte das Personal der Krankenstation. Ein Pfleger half uns, sie zu bändigen, während der Arzt sie wieder festschnürte. Als sie sich nicht mehr rühren konnte, schaute er mich ernst an.
    »Ich muss sie noch einmal sedieren. Bleiben Sie hier -und kommen Sie mir nicht auf die Idee, die Riemen zu lösen.«
    Eine Minute blieb ich mit ihr allein und versuchte, sie zu beruhigen. Sie rang noch immer mit den Riemen. Ich hielt ihr Gesicht fest, um ihren Blick einzufangen.
    »Cristina, bitte …«
    Sie spuckte mir ins Gesicht.
    »Geh.«
    Der Arzt kam in Begleitung einer Schwester zurück. Sie trug ein Metalltablett mit einer Spritze, Verbandszeug und einem Fläschchen mit einer gelblichen Lösung.
    »Gehen Sie hinaus«, befahl er mir.
    Ich zog mich bis an die Tür zurück. Die Schwester hielt Cristina auf dem Bett fest, während ihr der Arzt ein Beruhigungsmittel in den Arm spritzte. Cristina schrie mit verzerrter Stimme. Ich hielt mir die Ohren zu und ging auf den Korridor hinaus.
    Feigling, sagte ich zu mir. Feigling.
     

10
    Auf der anderen Seite des Sanatoriums Villa San Antonio führte ein baumgesäumter Weg entlang einem Bewässerungsgraben aus dem Dorf hinaus. Auf der gerahmten Karte im Speisesaal des Hotels del Lago wurde er süßlich als »Promenade der Verliebten« bezeichnet. An diesem Nachmittag wagte ich mich nach meinem Besuch im Sanatorium auf diesen düsteren Pfad, der eher an Einsamkeit denn an Liebeleien denken ließ. Nachdem ich, ohne einer Menschenseele zu begegnen, so lange gegangen war, dass die gezackten Silhouetten der Villa San Antonio und der Villen am Seeufer einer Pappkulisse glichen, setzte ich mich auf eine Bank und schaute in den Sonnenuntergang am Ende des Cerdanya-Tals. In etwa zweihundert Meter Entfernung war der Umriss einer kleinen, einsam auf einem verschneiten Feld stehenden Kapelle zu erkennen. Ich stand auf und stapfte auf sie zu, ohne recht zu wissen, warum. Wenige Meter davor bemerkte ich, dass die Tür fehlte. Die Mauern waren von den Flammen geschwärzt, die den Bau teilweise verzehrt hatten. Ich stieg die Eingangsstufen hinauf und ging einige Schritte hinein. Aus der Asche ragten die Reste verbrannter Bänke und von der Decke gestürzter Balken. Pflanzen waren hereingewuchert und hatten den ehemaligen Altar erklommen. Durch die engen Fensterscharten sickerte das Dämmerlicht. Ich setzte mich auf die Überreste einer Bank vor dem Altar und hörte dem

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