Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
auf seine Augen, und ich war mir sicher, dass er sich gleich auf mich stürzen würde. Ich drückte ab. Der Rückstoß der Waffe fuhr in meine Unterarme wie ein Hammerschlag. Aus dem Lauf stieg blauer Rauch auf. Eine Hand glitt von der Armlehne und baumelte herab, sodass die Fingernägel den Boden streiften. Ich schoss ein zweites Mal. Die Kugel riss auf Brusthöhe ein rauchendes Loch in die Kleider. Ich hielt die Pistole weiter mit beiden Händen auf ihn gerichtet und wagte keinen Schritt zu tun, sondern starrte auf die reglose Gestalt im Sessel. Allmählich hörte der Arm auf zu baumeln, hing der Körper leblos da, die langen polierten Nägel auf dem Eichenparkett wie verankert. Kein Laut war zu hören und keine Regung des Körpers auszumachen, der eben von zwei Kugeln getroffen worden war, im Gesicht und in der Brust. Ich machte ein paar Schritte rückwärts auf das Fenster zu und stieß es mit den Füßen auf, ohne Corellis Sessel aus den Augen zu lassen. Dunstiges Licht bahnte sich von der Balustrade einen Weg in seine Ecke und beleuchtete Körper und Gesicht des Patrons. Ich wollte schlucken, aber mein Mund war wie verdorrt. Der erste Schuss hatte zwischen den Augen ein Loch aufgerissen, der zweite ein Revers durchbohrt. Nirgends war ein Tropfen Blut zu sehen. Dafür rieselte ein feines, glänzendes Pulver wie von einer Sanduhr heraus und versickerte in den Falten seiner Kleider. Die Augen glänzten, und die Lippen waren zu einem sarkastischen Lächeln gefroren. Eine Puppe.
Ich senkte die Pistole in meiner noch zitternden Hand und trat langsam näher, beugte mich über den grotesken Hampelmann und streckte die Hand nach dem Gesicht aus. Einen Augenblick befürchtete ich, die Glasaugen würden sich jeden Moment bewegen und die Hände mit den langen Nägeln sich um meinen Hals klammern. Mit den Fingerspitzen strich ich ihm über die Wange. Lackiertes Holz. Ein bitteres Lachen entfuhr mir. Weniger war vom Patron nicht zu erwarten gewesen. Noch einmal besah ich mir diese spöttische Grimasse und verpasste der Puppe einen Schlag mit der Pistole, sodass sie zur Seite und dann auf den Boden fiel, wo ich auf sie eintrat. Das Holzgerippe geriet aus den Fugen, bis Arme und Beine in einer unmöglichen Stellung verheddert waren. Ich zog mich einige Schritte zurück und schaute mich um. Als ich das große Bild mit dem Engel erblickte, riss ich es mit einem Ruck herunter. Dahinter entdeckte ich die Kellertür, die ich noch von der Nacht in Erinnerung hatte, als ich hier eingeschlafen war. Sie war unverschlossen. Ich spähte in den dunklen Schacht hinunter. Dann ging ich zu der Kommode, in der Corelli bei unserer ersten Begegnung in diesem Haus die hunderttausend Francs verwahrt hatte, und suchte in den Schubladen, bis ich eine Blechbüchse mit Kerzen und Streichhölzern fand. Einen Augenblick zögerte ich und fragte mich, ob der Patron wohl auch sie dort bereitgelegt hatte, damit ich ebenso darauf stieß wie auf die Puppe. Mit einer brennenden Kerze ging ich durch den Salon zur Kellertür. Nach einem letzten Blick auf die zerstörte Puppe begann ich die Treppe hinabzusteigen, die Kerze vor mir und die Pistole fest in der Rechten. Auf jeder Stufe blieb ich stehen, um mich umzuschauen. Als ich in den Kellerraum gelangte, hielt ich die Kerze so weit wie möglich von mir weg und beschrieb mit ihr einen Halbkreis. Alles war noch da: der Operationstisch, die Gaslampen und das Tablett mit den chirurgischen Instrumenten. Alles voller Staub und Spinnweben. Aber da war noch etwas. An der Wand lehnten weitere Gestalten, so reglos wie die des Patrons. Ich stellte die Kerze auf den Operationstisch und trat zu diesen leblosen Körpern. In einem von ihnen erkannte ich den Butler, der uns eines Abends bedient hatte, und in einem weiteren den Chauffeur, der mich nach dem Abendessen mit Corelli nach Hause gefahren hatte. Die anderen konnte ich nicht identifizieren. Eine Puppe lehnte mit der Brust an der Wand, sodass ihr Gesicht nicht zu erkennen war. Mit der Pistolenmündung drehte ich sie herum und traf einen Augenblick später meinen eigenen Blick. Ein Schauder überlief mich. Die Puppe stellte mich dar, hatte aber nur ein halbes Gesicht, die andere Hälfte war ohne ausgeprägte Züge. Schon wollte ich dieses Gesicht mit einem Fußtritt zermalmen, als ich oben auf der Treppe ein Kind lachen hörte. Ich hielt den Atem an und hörte es ein paarmal trocken knarren. Ich rannte los, und als ich oben an der Treppe ankam, lag die Puppe des
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