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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Leben für ihn übrig hatte, war, ihn nicht allzu lange hinzuhalten. Als wir eines Abends zum Nachtdienst bei der Zeitung eintrafen, traten drei Pistolenschützen aus dem Schatten und durchsiebten ihn vor meinen Augen mit Schüssen. Ich erinnere mich noch an den Schwefelgeruch und den schimmernden Rauch, der von den schmauchenden Löchern in seinem Mantel aufstieg. Als ihn einer der Schützen mit einem Kopfschuss vollends töten wollte, warf ich mich auf den Vater, und ein dritter fiel dem Schützen in den Arm. Unsere Blicke trafen sich kurz, während er einen Moment zu überlegen schien, auch mich zu liquidieren. Doch dann rannten sie davon und verschwanden in den engen Gassen zwischen den Fabriken von Pueblo Nuevo.
    An jenem Abend ließen die Mörder den Vater in meinen Armen verbluten, und ich blieb allein auf der Welt zurück. Fast zwei Wochen lang verkroch ich mich in der Setzerei der Zeitung zwischen den Linotype-Maschinen, die mir wie eiserne Riesenspinnen vorkamen, und versuchte, das Pfeifen zum Verstummen zu bringen, das mir bei Einbruch der Nacht die Trommelfelle durchbohrte und mich um den Verstand brachte. Als man mich fand, waren meine Hände und Kleider noch von eingetrocknetem Blut verschmiert. Zuerst wusste niemand, wer ich war, da ich eine Woche lang nicht sprach, und als ich es schließlich tat, schrie ich das Wort Vater hinaus, bis mir die Stimme versagte. Als ich nach meiner Mutter gefragt wurde, sagte ich, sie sei gestorben, ich hätte niemanden mehr auf der Welt. Meine Geschichte kam Pedro Vidal zu Ohren, dem Star der Zeitung und Busenfreund des Herausgebers, welcher auf sein Ersuchen hin anordnete, mich als Botenjungen zu beschäftigen und mich bis auf weiteres in der bescheidenen Pförtnerklause im Keller unterzubringen.
    In diesen Jahren waren in Barcelonas Straßen Gewalt und Blutvergießen an der Tagesordnung. Es war die Zeit der Pamphlete und Bomben, welche in den Gassen des Raval zuckende, rauchende Körperteile zurückließen, die Zeit der schwarz gewandeten Banden, die die Nacht mit Metzeleien zubrachten, die Zeit der Prozessionen und Paraden von Heiligen und Generalen, die nach Tod und Betrug rochen, der aufwieglerischen Reden, in denen alle logen und alle recht hatten. Die Wut und der Hass, die Jahre später die einen und die anderen dazu brachten, sich im Namen großspuriger Losungen und bunter Fetzen umzubringen, begannen sich bereits in der vergifteten Luft abzuzeichnen. Die ewige Dunstglocke der Fabriken hing schwer über der Stadt und hüllte die Straßenbahnen und Fuhrwerke auf den gepflasterten Alleen ein. Die Nacht gehörte dem Gaslicht und den vom Mündungsfeuer und blauen Pulverdampf durchbrochenen Schatten der Gassen. In diesen Jahren wuchs man rasch heran, und wenn die Kindheit von ihnen abfiel, hatten manche Jungen und Mädchen bereits den Blick von Alten.
     
     
    Da ich außer diesem finsteren Barcelona keine weitere Familie mehr besaß, wurde mir jetzt die Zeitung zur Zuflucht und Welt, bis ich mit meinem Gehalt das Zimmer in Doña Carmens Pension mieten konnte. Ich wohnte dort erst eine Woche, als die Hauswirtin zu mir kam und mir mitteilte, vor der Tür frage ein Herr nach mir. Auf dem Treppenabsatz stand ein grau gekleideter Mann mit grauem Blick, der mich mit grauer Stimme fragte, ob ich David Martín sei, mir ein in Packpapier geschlagenes Paket überreichte und die Stufen hinunter verschwand und schließlich noch mit seiner grauen Abwesenheit meine elende Umgebung verpestete. Ich ging mit dem Paket ins Zimmer zurück und schloss hinter mir die Tür. Niemand außer zwei, drei Leuten bei der Zeitung wusste, dass ich hier wohnte. Neugierig riss ich die Verpackung auf – ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie ein Paket bekommen. Zum Vorschein kam ein altes Holzkästchen, das mir vertraut vorkam. Ich legte es auf die Pritsche und öffnete es. Es enthielt Vaters alte Pistole, die Waffe, die er von der Armee bekommen hatte und mit der er von den Philippinen zurückgekehrt war, um auf einen frühen, elendiglichen Tod hinzuarbeiten. Neben der Waffe lag ein Schächtelchen Kugeln. Ich nahm die Pistole heraus und wog sie in der Hand. Sie roch nach Pulver und Öl. Ich fragte mich, wie viele Menschen der Vater mit dieser Waffe wohl getötet hatte, ehe er mit ihr seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen gedachte und bis ihm andere zuvorkamen. Ich legte sie zurück und klappte das Kästchen zu. In einem ersten Impuls wollte ich es zum Abfall geben, aber dann wurde mir

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