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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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gewartet haben, kann es auch noch bis morgen warten.«
    »Morgen habe ich möglicherweise nicht mehr den Mut, es dir zu erzählen.«
    Mir wurde bewusst, dass ich ihn noch nie so angsterfüllt erlebt hatte. Etwas war ihm im Herzen stecken geblieben, und allmählich berührte es mich unangenehm, ihn in diesem Zustand zu sehen.
    »Lassen Sie uns Folgendes machen, Don Pedro. Wenn Ihr Buch und mein Buch veröffentlicht werden, treffen wir uns, um darauf anzustoßen, und Sie erzählen mir, was Sie mir zu erzählen haben. Sie laden mich in eines der piekfeinen Restaurants ein, wo man mich nur mit Ihnen hereinlässt, und berichten mir alles, was Sie auf dem Herzen haben. In Ordnung?«
    Als es dunkel wurde, begleitete ich ihn zum Paseo del Born, wo neben dem Hispano-Suiza Pep in Manuels Uniform wartete, die ihm fünf Nummern zu groß war, genau wie das Auto. Die Karosserie war mit frischen Kratzern und Beulen verziert, die einem in der Seele wehtaten.
    »In gemächlichem Trab, ja, Pep?«, riet ich ihm. »Kein Galopp. Langsam, aber sicher, als wär’s eine Schindmähre.«
    »Ja, Señor Martín. Langsam, aber sicher.«
    Beim Abschied umarmte mich Vidal kräftig, und als er einstieg, hatte ich das Gefühl, das Gewicht der ganzen Welt laste auf seinen Schultern.
     

 16
    Wenige Tage nachdem ich unter den Roman von Vidal und meinen eigenen den Schlusspunkt gesetzt hatte, schneite Pep bei mir herein. Er trug die Uniform, die ihm das Aussehen eines als Feldmarschall verkleideten kleinen Jungen gab. Zuerst vermutete ich, er bringe eine Nachricht von Vidal oder vielleicht von Cristina, aber sein trübseliges Gesicht verriet eine Unruhe, die mich beides verwerfen ließ.
    »Schlechte Nachrichten, Señor Martín.«
    »Was ist passiert?«
    »Señor Manuel.«
    Bei der Schilderung dessen, was geschehen war, versagte ihm die Stimme, und als ich ihm ein Glas Wasser anbot, brach er beinahe in Tränen aus. Manuel Sagnier war drei Tage zuvor im Sanatorium von Puigcerdà nach langer Agonie gestorben. Auf Anordnung seiner Tochter hin war er am Vortag auf einem kleinen Friedhof am Fuß der Pyrenäen bestattet worden.
    »Mein Gott«, murmelte ich.
    Statt Wasser gab ich Pep ein randvolles Glas Brandy und schob ihn in einen Verandasessel. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, erklärte er, Vidal habe ihn geschickt, Cristina abzuholen, die an diesem Nachmittag mit dem Fünf-Uhr-Zug zurückkehren wollte.
    »Stellen Sie sich vor, wie es Señorita Cristina gehen muss …«, flüsterte er. Es bekümmerte ihn, dass gerade er sie empfangen und auf der Fahrt zurück in die kleine Wohnung über den Garagen der Villa Helius, wo sie seit ihrer Kindheit mit dem Vater gelebt hatte, trösten sollte.
    »Pep, ich glaube, es ist keine gute Idee, dass du Señorita Sagnier abholst.«
    »Anweisung von Don Pedro …«
    »Sag ihm, ich übernehme die Verantwortung.«
    Mit reichlich Schnaps und Rhetorik konnte ich ihn überreden, die Sache in meine Hände zu geben. Ich selbst würde Cristina abholen und in einem Taxi zur Villa Helius bringen.
    »Ich danke Ihnen, Señor Martín. Sie als Schriftsteller wissen bestimmt besser, was Sie der Armen sagen müssen.«
    Um Viertel vor fünf machte ich mich auf den Weg zum neuen, vor kurzem eingeweihten Francia-Bahnhof. Die Weltausstellung hatte in diesem Jahr die ganze Stadt mit Wunderwerken übersät, aber dieses kathedralenartige Gewölbe aus Stahl und Glas war mir von allen das liebste, und sei es nur, weil es, zum Greifen nah, von meinem Arbeitszimmer im Turm aus zu sehen war. An diesem Nachmittag überzogen schwarze Wolken vom Meer her den Himmel und verknäulten sich über der Stadt. Der Widerschein der Blitze am Horizont und ein warmer, nach Staub und Elektrizität riechender Wind verhießen ein heftiges Sommergewitter. Als ich am Bahnhof eintraf, fielen bereits die ersten Tropfen, schillernd und schwer aus dem Himmel stürzende Münzen. Und auf dem Bahnsteig, wo ich die Ankunft des Zuges abwarten wollte, prasselte der Regen schon kräftig aufs Dach, und es wurde schlagartig Nacht. Nur ab und zu erhellten über der Stadt explodierende Blitze die Dunkelheit, gefolgt von Donner und Raserei.
    Der Zug, eine unter dem Gewitter herankriechende Dampfschlange, kam mit fast einer Stunde Verspätung an. Ich wartete neben der Lokomotive, um Cristina unter den aussteigenden Passagieren zu erspähen. Nach zehn Minuten waren alle Reisenden ausgestiegen, und von ihr war noch immer keine Spur zu sehen. In der Annahme, sie hätte doch

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