Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Klingel und wartete.
Wenig später wurde geöffnet. Ein Mann mit schlaffem Blick und schlaffen Schultern nickte angesichts meines Erscheinens und bat mich herein. Seine Gewandung wies ihn als eine Art Butler oder Diener aus. Er gab keinen Laut von sich. Ich folgte ihm durch den von Porträts gesäumten Korridor, an dessen Ende er mir den Vortritt in den großen Salon ließ, von dem aus man auf die ganze Stadt hinunter sah. Mit einer leichten Verneigung ließ er mich allein und zog sich ebenso langsam zurück, wie er mich begleitet hatte. Ich trat an die hohen Fenster und spähte, auf Corelli wartend, zwischen den Gardinen hindurch. Nach zwei Minuten bemerkte ich, dass mich aus einer Ecke des Salons eine Gestalt beobachtete. Der Mann saß vollkommen reglos in einem Sessel am Rand des Lichtscheins einer Öllampe, sodass nur die Beine und die auf den Armlehnen ruhenden Hände beleuchtet waren. Ich erkannte ihn an seinen glänzenden Augen, die nie blinzelten, und am Widerschein des Öllichts auf der Engelsbrosche, die stets an seinem Revers steckte. Sowie ich ihn ins Auge fasste, stand er auf und kam mit raschen, allzu raschen Schritten auf mich zu. Das wölfische Lächeln auf seinen Lippen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
»Guten Abend, Martín.«
Ich nickte und versuchte zurückzulächeln.
»Ich habe Sie schon wieder erschreckt«, sagte er. »Das tut mir leid. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, oder wollen wir ohne große Vorreden zum Essen schreiten?«
»Ehrlich gesagt, ich habe gar keinen Hunger.«
»Zweifellos die Hitze. Lassen Sie uns doch in den Garten gehen und uns dort unterhalten.«
Der schweigsame Butler erschien, um die Türen zum Garten zu öffnen, wo ein von Kerzen auf Porzellantellern gesäumter Weg zu einem weißen Metalltisch mit zwei Stühlen führte. Die Kerzen brannten mit aufrechten Flammen und ohne jedes Flackern. Der Mond tauchte alles in ein schwaches, bläuliches Licht. Ich setzte mich, und Corelli tat ein Gleiches, während uns der Butler aus einem Krug zwei Gläser von etwas einschenkte, was wie Wein oder irgendein Likör aussah -ich hatte nicht vor, davon zu kosten. Im Licht des Dreiviertelmondes erschien Corelli jünger, seine Gesichtszüge schärfer. Er schaute mich mit an Gier grenzender Intensität an.
»Irgendetwas beunruhigt Sie, Martín.«
»Vermutlich haben Sie von dem Brand gehört.«
»Ein bedauerliches Ende und dennoch von poetischer Gerechtigkeit.«
»Sie finden es gerecht, dass zwei Menschen auf diese Art umkommen?«
»Fänden Sie eine weniger brutale Art akzeptabler? Gerechtigkeit ist eine gekünstelte Sichtweise, kein universeller Wert. Ich mag keine Bestürzung vortäuschen, die ich nicht empfinde, und Sie vermutlich ebenso wenig, sosehr Sie es auch versuchen. Aber wenn es Ihnen lieber ist, können wir ruhig eine Schweigeminute einlegen.«
»Das wird nicht nötig sein.«
»Natürlich nicht. Das ist nur nötig, wenn man nichts von Wert zu sagen hat. Im Schweigen erscheinen selbst Narren als Weise. Beunruhigt Sie sonst noch irgendetwas, Martín?«
»Die Polizei scheint anzunehmen, dass ich etwas mit dem Vorfall zu tun habe. Sie haben sich nach Ihnen erkundigt.«
Corelli nickte unbesorgt.
»Die Polizei muss ihre Arbeit tun und wir die unsere. Wollen wir es dabei bewenden lassen?«
Ich nickte langsam. Corelli lächelte.
»Vor einer Weile, als ich auf Sie wartete, ist mir klar geworden, dass zwischen Ihnen und mir noch eine kleine Unterhaltung aussteht, reine Formsache. Je eher wir das hinter uns bringen, desto schneller kommen wir zur Sache. Zuallererst möchte ich Sie fragen, was für Sie Glaube bedeutet.«
Ich zögerte einige Augenblicke.
»Ich bin nie ein frommer Mensch gewesen. Ich zweifle eher, als dass ich glaube oder nicht glaube. Mein Glaube ist der Zweifel.«
»Sehr klug und sehr bürgerlich. Aber indem man Bälle ins Aus befördert, gewinnt man kein Spiel. Warum, würden Sie sagen, tauchen in der Geschichte immer wieder Glaubenslehren auf, um dann wieder zu verschwinden?«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen. Sie sprechen mit einem, der als Zehnjähriger von der Schule abgegangen ist. Geschichte ist nicht meine Stärke.«
»Die Geschichte ist die Müllhalde der Biologie, Martín.«
»Offenbar habe ich geschwänzt, als wir das gelernt haben.«
»Das lernt man nicht im Klassenzimmer, Martín. Das lehren uns die Vernunft und die Beobachtung der Wirklichkeit. Es
Weitere Kostenlose Bücher