Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
gut.«
Sie stopfte ihn wie eine Mastgans mit Paprikawurst, Brot und Kartoffeln an scharfer Mayonnaise, alles von einem riesigen Krug Bier begleitet. Fermín erwachte zu neuem Leben und gewann vor dem zufriedenen Blick des jungen Mädchens seine frische Farbe zurück.
»Zum Nachtisch, wenn Sie mögen, mache ich Ihnen eine Spezialität des Hauses, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht«, erbot sie sich und leckte sich die Lippen.
»Ja solltest du denn jetzt nicht bei den Nonnen in der Schule sein, Mädchen?«
Sie belachte seine Bemerkung ironisch.
»Ach, so ein Lauser, was für ein Mundwerk der Señorito hat.«
Während des Schmauses wurde Fermín klar, dass er, wenn es nach dem jungen Mädchen ging, eine vielversprechende Zuhälterlaufbahn vor sich hatte. Aber andere, wichtigere Dinge beanspruchten seine Aufmerksamkeit.
»Wie alt bist du, Rociíto?«
»Achtzehneinhalb, Señorito Fermín.«
»Du siehst älter aus.«
»Das ist der Vorbau. Er ist mir mit dreizehn gewachsen, und es ist eine Freude, ihn anzuschauen, obwohl’s mir ja nicht zusteht, es zu sagen.«
Fermín, der seit seinen Tagen in Havanna, an die er sich mit Sehnsucht erinnerte, keine vergleichbare Verschwörung von Kurven mehr gesehen hatte, versuchte, seinen gesunden Menschenverstand zurückzuerlangen.
»Rociíto«, begann er, »ich kann mich deiner nicht annehmen …«
»Ich weiß schon, Señorito, halten Sie mich nicht für blöd. Ich weiß, dass Sie nicht der Mann sind, der auf Kosten einer Frau lebt. Ich bin ja vielleicht noch jung, aber ich habe gelernt zu erkennen, wo’s langgeht …«
»Du musst mir sagen, wohin ich dir das Geld für dieses Bankett schicken kann – jetzt erwischst du mich in einem wirtschaftlich heiklen Moment …«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe ein Zimmer in dieser Pension, das ich mit der Lali teile, aber sie ist den ganzen Tag weg, sie macht die Frachter … Warum kommt der Señorito nicht rauf, und ich verabreiche ihm eine Massage?«
»Rociíto …«
»Geht aufs Haus.«
Fermín schaute sie melancholisch an.
»Sie haben traurige Augen, Señorito Fermín. Lassen Sie die Rociíto Ihrem Leben etwas Freude geben, wenn auch nur für ein Weilchen. Was ist denn Schlechtes daran?«
Beschämt senkte Fermín den Blick.
»Wie lange ist der Señorito nicht mehr so richtig mit einer Frau zusammen gewesen?«
»Daran kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern.«
Die Rociíto gab ihm die Hand, zog ihn auf, führte ihn die Treppe hinauf in ein winziges Zimmerchen, in dem nur ein schmales Bett und ein Waschtrog standen. Ein kleiner Balkon führte auf den Platz hinaus. Sie zog den Vorhang und schlüpfte im Nu aus ihrem geblümten Kleid, unter dem nichts als sie selbst war. Fermín bestaunte dieses Naturwunder und ließ sich von einem Herzen umarmen, das fast so alt war wie seines.
»Wenn der Señorito nicht mag – wir müssen gar nichts machen, ja?«
Sie bettete ihn hin und legte sich neben ihn, umarmte ihn und streichelte seinen Kopf.
»Schsch, schsch«, flüsterte sie.
Fermín, das Gesicht auf dieser achtzehnjährigen Brust, brach in Tränen aus.
Als es Abend wurde und die Rociíto ihre Schicht antreten musste, kramte er den Zettel mit der Adresse von Anwalt Brians hervor, den ihm Armando vor einem Jahr gegeben hatte, und beschloss, ihn aufzusuchen. Die Rociíto wollte ihm unbedingt etwas Kleingeld mitgeben, damit er die Straßenbahn und einen Kaffee bezahlen konnte, und ließ ihn schwören und noch einmal schwören, dass er sie besuchen werde, und sei es nur, um mit ihr ins Kino oder zur Messe zu gehen, denn sie war der Muttergottes vom Berge Karmel sehr ergeben und liebte das Zeremoniell, vor allem, wenn dabei gesungen wurde. Sie begleitete Fermín nach unten und gab ihm zum Abschied einen Kuss auf den Mund und zwickte ihn in den Hintern.
»Mein süßes Männchen«, sagte sie, während er unter den Arkaden des Platzes davonging.
Als er die Plaza de Cataluña überquerte, begannen sich am Himmel dicke Wolken zu ballen. Die Taubenschwärme, die normalerweise den Platz überflatterten, hatten in den Bäumen Zuflucht gesucht und warteten unruhig. Die Menschen konnten die Elektrizität in der Luft riechen und drängten zu den Eingängen der U-Bahnhöfe. Ein unfreundlicher Wind hatte sich erhoben und wirbelte eine Laubflut über den Boden. Fermín lief schneller, und als er zur Calle Caspe gelangte, begann es schon zu schütten.
8
Anwalt Brians war ein junger Mann, der ein wenig wie ein Bohemestudent
Weitere Kostenlose Bücher