Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
damit Sie den Anzug anprobieren.«
    »Solange es kein gestreifter ist …«
    Ich hatte ihm hoch und heilig geschworen, dass er im gegebenen Moment einen ordnungsgemäßen Namen hätte und dass sein Pfarrerfreund das »Fermín, willst du die Bernarda …« anstimmen könnte, ohne dass wir alle gleich auf dem Polizeiposten landeten, doch je näher das Datum rückte, desto mehr verging er fast vor Angst und Unruhe. Die Bernarda überlebte die Spannung durch Beten und den Verzehr von Eierplätzchen, aber nachdem ein diskreter Arzt ihre Schwangerschaft bestätigt hatte, verbrachte sie einen großen Teil des Tages mit dem Kampf gegen Übelkeit und Schwindelgefühle, und alles deutete darauf hin, dass Fermíns Erster es ihnen bei seiner Ankunft nicht leichtmachen würde.

    Die Ruhe dieser Tage war trügerisch – unter der Oberfläche war ich schon in einen trüben Strom geraten, der mich langsam in die Tiefen eines neuen, unausweichlichen Gefühls hinunterriss: zum Hass.
    In der Freizeit entfloh ich, ohne es jemandem zu sagen, ins Athenäum in der Calle Canuda und folgte im Zeitungsarchiv und im Katalogfundus Mauricio Valls’ Spuren. Was über die Jahre nur ein uninteressantes, verschwommenes Bild gewesen war, bekam nun mit jedem Tag mehr Konturen, ja eine schmerzliche Präzision. Nach und nach rekonstruierte ich Valls’ öffentliche Karriere in den letzten fünfzehn Jahren. Seit seinen ersten Schritten im Regime war viel Wasser den Ebro hinuntergeflossen. Mit Zeit und Vitamin B hatte Don Mauricio Valls, wenn man denn den Zeitungen Glauben schenken durfte (was für Fermín identisch war mit dem Glauben, Fanta Orange erhalte man durch das Auspressen frischer Orangen aus Valencia), sein Trachten von Erfolg gekrönt gesehen und war zu einem glitzernden Stern am Firmament des künstlerischen und literarischen Spaniens geworden.
    Sein Aufstieg war unaufhaltsam gewesen. Von 1944 an wurden ihm immer wichtigere Ämter und Ernennungen in den akademischen und kulturellen Institutionen des Landes zuerkannt. Seine Artikel, Reden und sonstigen Publikationen waren allmählich Legion. Jeder Wettbewerb, Kongress oder andere kulturelle Akt, der etwas auf sich hielt, rief nach Don Mauricios Beteiligung und Anwesenheit. 1947 gründete er mit zwei Teilhabern die Sociedad General Ariadna, ein Verlagshaus mit Niederlassungen in Madrid und Barcelona, das die Presse nachdrücklich zur »Prestigemarke« der spanischen Literatur erhob.
    Seit 1948 sprach dieselbe Presse von Mauricio Valls nur noch als vom »brillantesten, angesehensten Intellektuellen des neuen Spaniens«. Die selbsternannte Intelligenz des Landes und die Leute, die ihr angehören wollten, schienen mit Don Mauricio eine leidenschaftliche Romanze zu erleben. Die Feuilletonjournalisten ergingen sich in Lobhudeleien und Liebedienerei, um seine Gunst zu gewinnen und mit Glück irgendein eigenes in einer Schublade vor sich hin dösendes Opus in seinem Verlag veröffentlicht zu sehen und sich so Zutritt zum offiziellen Auditorium Maximum zu verschaffen und vom Manna zu kosten, und sei es bloß eine Krume.
    Valls hatte die Regeln gelernt und beherrschte das Spielbrett wie kein Zweiter. Anfang der fünfziger Jahre überbordeten sein Ruf und sein Einfluss bereits die offiziellen Kreise und begannen die sogenannte Zivilgesellschaft und ihre wichtigen Persönlichkeiten zu durchdringen. Seine Losungen waren zu einem Kanon offenbarter Wahrheiten geworden, die sich jeder der auserlesenen drei- oder viertausend Bürger, welche sich für gebildet hielten und auf ihre gewöhnlichen Mitmenschen hinabsahen, zu eigen machte und wie ein Musterschüler nachplapperte.
    Unterwegs zum Gipfel, hatte Valls einen engen Kreis von ihm aus der Hand fressenden Gleichgesinnten um sich geschart, die mit der Zeit an die Spitze von Institutionen und in andere Machtpositionen vordrangen. Wagte irgendein Unglücksrabe Valls’ Worte oder seine Bedeutung in Frage zu stellen, wurde er in der Presse erbarmungslos gekreuzigt und aufs Groteskeste beschimpft, bis er als Aussätziger und Bettler dastand, dem alle Türen verschlossen und nur ein Leben in Vergessenheit oder das Exil blieben.

    Ich las unendliche Stunden lang, über und zwischen den Zeilen, verglich Geschichten und Versionen, katalogisierte Daten und erstellte Listen mit Erfolgen und im Keller versteckten Leichen. Unter anderen Umständen, wenn mein Forschungsgegenstand rein anthropologischer Natur gewesen wäre, hätte ich vor Don Mauricio und seinen

Weitere Kostenlose Bücher