Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts (MERIAN Digitale Medien) (German Edition)
»Gebirge« und »sierra«, die »Säge«. 30 Kilometer nordwestlich von Barcelona liegt der wild gezackte Bergrücken
Montserrat
, der wegen seines Klosters, der mittelalterlichen Einsiedeleien und einer schwarzen Marienstatue aus dem Jahre 1200 von den Katalanen auch als »Heiliger Berg« verehrt wird. Deswegen also »Maria de Montserrat«.
Das Stadtviertel, in dem das Mädchen aufwächst, heißt
Poblet
(»Dorf«) und liegt östlich des noblen Jugendstil-Eixample. Die
Carrer d’Igualada
findet man in der Nähe der unvollendeten Kirche Sagrada Família 28 ( ▶ G 1 ) . Damals ist das
Barri Poblet
tatsächlich noch dörflich und kleinbürgerlich. Erst der Kulturtourismus zur Sagrada Família hat mit Cafés, Restaurants und Souvenir-Boutiquen einen gewissen Wohlstand nach
Poblet
gebracht. Doch damals rümpfen die meisten Barceloner noch die Nase über die Baustelle von Gaudí, der von den einen als Geldverschwender angesehen wird, von den anderen als größenwahnsinnig.
Caballés Kindheit ist von Armut geprägt. Barcelonas Wirtschaft wird erst durch viele Generalstreiks und anarchistische Verwaltung geschwächt, danach verschärfen der Bürgerkrieg und anschließend der Zweite Weltkrieg die allgemeine Situation noch mehr. Vater
Carlos
ernährt die Familie mehr schlecht als recht mit einem kleinen Lebensmittelladen. Als er krank wird, müssen Mama
Ana
und auch die kleine Montserrat in Wäschereien und Schneiderstuben aushelfen.
Die Schülerin Montserrat Caballé zeigt außer für Geschichte und Erdkunde wenig Interesse für die Unterrichtsfächer, mit der großen Ausnahme Musik. Mit sieben Jahren bekommt sie eine Karte für »Madame Butterfly« geschenkt. Im Opern-Olymp der reichen Barceloner, im
Gran Teatre del Liceu
16 ( ▶ G 6 ) , bestaunt sie den goldenen Prunk des Musiktempels, ist begeistert von der Stimme der
Mercedes Capsir
, aber auch erschrocken über den Tod von Madame Butterfly. Dieser Abend prägt ihr Leben und weckt ihren musikalischen Ehrgeiz. Zu Weihnachten 1940 singt sie ihren Eltern als Geschenk die Arie »Un bel di vedremo« vor. Wenig später darf sie Unterricht am angesehenen Conservatorio del Liceu in Gehörschulung und Harmonielehre nehmen.
Doch das Geld ist knapp. Die Musiklehrer schwärmen von ihrer außergewöhnlichen Begabung und Willenskraft und empfehlen sie wohlhabenden Bürgern als Stipendiatin. Mäzenatentum und Kunstförderung war und ist in Barcelona in den besseren Kreisen üblich. Nach einem Vorsingen garantiert ihr die durch Handel mit den spanischen Kolonien in der Karibik reich gewordene Familie Bertrand ein Musikstipendium über mehrere Jahre. Montserrat kann nun ganztägig ins Konservatorium gehen. Sie nimmt sogar Ballettunterricht, denn mit ihren zwölf Jahren ist sie noch dünn wie eine Bohnenstange.
SIE WILL SINGEN – UND GEHT NACH BASEL
Ihre Lieblingsrollen als lyrischer Sopran sind die Susanna in »Figaros Hochzeit«, die Mimi in »La Bohème« und die Lucia in »Lucia di Lammermoor«. Ihre abschließende große Gesangsprüfung am
Conservatorio del Liceu
besteht 1955 aus der Arie der Gräfin Almaviva im 2 . Akt von »Figaros Hochzeit« und aus Agathes »Und ob die Wolke« im 1 . Akt des »Freischütz«. Die Musiklehrer sind begeistert, aber einen Job in ihrem geliebten heimatlichen Opernhaus gibt es (noch) nicht für sie. Die junge Frau braucht Erfahrung und zieht in Europa um die Häuser. Zunächst in Italien mit wenig Glück und einem schlechten Manager: Probesingen in Mailand und Rom, ein geplatztes Festival in Florenz und frustrierende Reservebesetzungen auf Zeit. Caballé aber will singen und Erfahrung sammeln und geht für drei Jahre an die Oper von Basel. Aus Barcelona-Sicht eine künstlerische Provinz, aber sie wird dort mit großem Ehrgeiz und auch Glück bald erste Sopranistin … und so geliebt, dass sie als Salome in der gleichnamigen Oper 1959 sogar ihren ersten großen Gastauftritt an der Wiener Staatsoper unter Herbert von Karajan erhält. Man bietet ihr einen Fünf-Jahres-Vertrag an, den sie aber ablehnt, weil sie nicht das fünfte Rad unter den großen Wiener Sopranistinnen sein möchte.
DANN RUFEN NEW YORK, PARIS UND LONDON
Nach drei weiteren Lehrjahren an der Bremer Oper kommt zunächst ihr mit Spannung erwartetes Debüt im heimatlichen
Liceu
16 ( ▶ G 6 ) , am 7 . Januar 1962 in »Arabella«. Die Barceloner schließen sie von diesem Tag an bis heute in ihr Herz. Danach erfolgt der weltweite Durchbruch: Mit Donizettis »Lucrezia Borgia«
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