Barins Dreieck
zu machen, alles Mögliche in der Art, aber letztendlich kommt er zu keinem Ergebnis.
Dann nimmt er endlich all seinen Mut zusammen. Nachdem er mehrere Wochen in diesem erotischen Nebel verbracht hat, beschließt er herauszubekommen, wie es sich wirklich verhält, auszuspionieren, was da tatsächlich zwischen ihm und diesen attraktiven Frauen läuft.
Mit einer gewissen Frau M hat er abgemacht, sie an einem Abend im September in ihrem Haus zu treffen, während der Ehemann auf Geschäftsreise ist ... und das ist nicht das erste Mal. In aller Heimlichkeit hat R sich vergewissert, wo Haus und Schlafzimmer gelegen sind, und er hat ausgerechnet, dass er, wenn er auf die riesige Kastanie im Garten klettern kann, von dort einen guten Überblick über alles bekommt. Das Schlafzimmer liegt im Obergeschoss und hat nur ganz dünne Gardinen vor dem Fenster, außerdem weiß er aus früheren Gesprächen, dass Frau M gern vor dem Fenster stehend liebt, ihren schönen Körper gegen die Scheibe gedrückt.
Alles geht nach Plan. R sitzt versteckt oben im Baum, er beobachtet, wie Frau M in einem halb durchscheinenden schwarzen Unterkleid im Haus herumläuft, Essen und Trinken vorbereitet ... ein Herr erscheint auf der Straße, klingelt an der Tür, wird hereingelassen ... nach zehn Minuten tauchen die beiden oben im Schlafzimmer auf, er nackt und mit einer ansehnlichen Erektion, sie in Strumpfbändern und hochhackigen Schuhen.
Es herrscht kein Zweifel: Der Mann ist R selbst. Das Zimmer ist erleuchtet, der Abstand beträgt höchstens fünf, sechs Meter. Während fast zwei Stunden wird R Zeuge, wie er selbst mit Frau M Geschlechtsverkehr ausübt.
Er hat noch nie zuvor eine nackte Frau gesehen.
Drei Tage später ... in dieser Zeit hat er keine Sekunde die Augen zugemacht, keinen Fuß vor die Tür gesetzt ... sucht er Doktor Schenk auf.
»Und wie ging es weiter?«
Lorenz Piirs seufzte.
»Leider nicht so gut. R war in sehr schlechtem Zustand, als er zu Schenk kam. Aufgewühlt und neurotisch. Es dauerte mehrere Tage, die ganze Geschichte aus ihm herauszuholen. Schenk war gezwungen, ihm Medikamente zu geben, um ihn zu beruhigen, eine Zeit lang hat er ihn sogar bei sich zu Hause einquartiert. Gleichzeitig unternahm er natürlich andere Untersuchungen. Er ging zu mehreren der involvierten Frauen, und ...«
»Ja, und?«
»Und konnte ziemlich schnell jeden Verdacht hinsichtlich eines Doppelgängers ausräumen. Dahingehend, dass es eine andere Person gewesen sein kann als R, die als Liebhaber der Frauen aufgetreten ist ...«
»Wie?«
»Durch eine ganze Reihe von Umständen. Die Kleidung, das Aussehen ... die Kenntnis des Arbeitsplatzes ... ja, dass er pünktlich zu den vereinbarten Verabredungen kam natürlich. . . ein kleines Muttermal an seinem Penis, was wollen Sie noch? Es war wirklich R, der alle diese Liebeskunststücke ausgeführt hatte, während er gleichzeitig daheim in seinem Bett lag und phantasierte.«
Piirs faltete die Hände. Eine Weile blieb es still. Die Geräusche von draußen von der Straße drangen erneut herein. Ein paar Kinder liefen hintereinander her. Ich schluckte und zögerte. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich noch mehr hören wollte.
»Und danach?«, fragte ich schließlich.
Er betrachtete mich mit ernster Miene.
»Danach ... geschah eigentlich nichts mehr. Keine der Frauen bekam noch einmal Besuch, nachdem R alles Schenk erzählt hatte.«
»Und R?«
»Schenk behandelte ihn lange, ich glaube, ein paar Jahre lang. Er nahm nie wieder seine Arbeit auf. Wurde dann in Breytenberg aufgenommen, nein, ich glaube, das reicht. Schließlich geht es ja hier um Sie, nicht um ihn.«
Wieder eine Pause.
»Warum haben Sie mir das erzählt?«, fragte ich.
Er legte seufzend seinen Füller hin.
»Es gibt keine Abkürzung«, sagte er. »Sie wissen ja, wie ich arbeite.«
Ich nickte.
»Wissen Sie, ob er noch lebt?«
»R?«
»Ja.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Wer weiß. Es ist ja noch nicht länger her als ... als fünfunddreißig Jahre.«
Ich blieb noch eine Weile liegen, aber weitere sinnvolle Fragen fielen mir nicht mehr ein, und zehn Minuten später verließ ich die Praxis.
Ich schaue auf mein verfluchtes Dach hinaus. In sechs Tagen muss ich wieder arbeiten. Die letzte Sitzung bei Piirs hat mir ein wenig Kraft gegeben, zumindest habe ich das Gefühl. Es regnet.
Die Stadt ist schwarz. Ich versuche alles zu überdenken. Der Eindringling. René Singh. Das Café Freiheit. R.
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