Barins Dreieck
der Gegend von Miijskens. Heinz selbst hatte das Haus zurückgekauft, einen richtigen Schuppen mitten im Wald, wenn seine Beschreibung zutraf, aber es war der inständige Wunsch seiner Mutter gewesen, ihre Tage an dem Ort beenden zu dürfen, an dem sie sie begonnen hatte. Natürlich hatte das auch eine gewisse Linderung für Heinz’ schlechtes Gewissen bedeutet, ihr zumindest diesen Wunsch nach all dem Kummer und den Sorgen erfüllen zu können, die er ihr bereitet hatte.
Aber jetzt war sie tot und begraben, und das Haus sollte, wenn es denn möglich war, weiterverkauft werden. Und hier kam Heinz’ Schwester ins Bild – Ulrike, an die ich mich noch vage aus der Gymnasiumszeit erinnerte. Ich glaube, sie war nur ein Jahr älter, ein groß gewachsenes Mädchen, das etwas Abweisendes an sich hatte. Es war natürlich Sache beider Geschwister, sich um das Erbe zu kümmern, aber Ulrike befand sich im Augenblick unter schwierigen Umständen (wie Heinz es ausdrückte) irgendwo in Kanada; sie hatte nicht einmal zur Beerdigung nach Hause kommen können, ihm aber Bescheid gegeben, er solle sich um das Haus kümmern, bis sie die Möglichkeit hatte, die Sache Ende März selbst in die Hand zu nehmen. Er solle es nur wagen, es einfach verkommen zu lassen!
Ungefähr so war die Lage, wenn ich es richtig verstanden hatte.
»Und Pereira wartet auf mich. Ich muss am ersten Februar hinfliegen ... wir wollen mit dem Guss am zehnten anfangen.«
Ich nickte. Fühlte mich langsam etwas gedrängt. Und langsam erkannte ich auch Heinz Hellers wieder, er hatte schon immer etwas Unangenehmes an sich, daran konnte ich mich jetzt wieder erinnern. Etwas, das wir nur schwer hatten akzeptieren können, wir alle ...
»Wo wohnst du denn hier in der Stadt?«
»Bei Hermann.«
»Hermann?«
»Bei Hermann Aaker. Du musst dich doch noch an ihn erinnern?«
Aber natürlich. Unser alter Religionslehrer. Mit dem Gerücht behaftet, in der Kriegszeit keine reine Weste gehabt zu haben ... und da war noch etwas, an das ich mich aber nicht mehr erinnern konnte.
»Ich habe ihn schon gefragt, aber er hat Probleme mit dem Laufen. Und außerdem kann er schlecht sehen.«
»Ich bin im Augenblick ziemlich beschäftigt ...«
»Es reicht ja, wenn mal jemand nach dem Rechten schaut, bis Ulrike kommt ... sich um die Blumen kümmert, das Wasser eine Weile laufen lässt, damit es nicht einfriert. Es liegt nur ein paar Kilometer von der Stadt entfernt, aber du hast wohl deine eigenen Sachen zu erledigen?«
Wieder nickte ich. So langsam fand ich seine Beharrlichkeit etwas peinlich, aber sie stimmte schon mit dem Bild von ihm überein, das mir wieder ins Gedächtnis kam. Das mit jeder Minute, die verging, deutlicher wurde. Wenn man ihn erst einmal über die Türschwelle gelassen hatte ... so war es schon immer gewesen.
Plötzlich brach er auf. Obwohl Kaffee und Bier noch nicht getrunken waren, hatte er es plötzlich sehr eilig. Er zwängte sich in seine Jacke, fischte 45 Gulden aus der Hosentasche.
»Ich glaube, ich habe ganz die Zeit vergessen. Du kannst doch für mich bezahlen, ja? Ich denke, das müsste reichen.«
»Natürlich.«
»Könntest du mich nicht anrufen, falls du deine Meinung änderst ... bei Aaker, wie gesagt.«
»Schon, aber ich glaube nicht, dass das etwas wird.«
»Er steht im Telefonbuch. Also dann, tschüs!«
»Ja, tschüs! Jedenfalls war es schön, dich einmal wiederzusehen.«
»Ja ...«
Und dann war er verschwunden.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und dachte über Heinz nach. Mir fiel ein, welche Probleme ich damals mit ihm gehabt hatte, so wie die meisten, wie gesagt. Außerdem kam mir in den Sinn, wie wenig erwachsen er doch geworden war, wie pubertär er sich immer noch verhielt, obwohl er doch inzwischen so einen anerkannten Namen hatte.
Die gleiche zweifelhafte Mischung aus Scheu und Arroganz. Das gleiche Unvermögen, sich von außen zu betrachten und seine eigene momentane Situation zu erkennen ... der gleiche Egoismus.
Eine Weile dachte ich in diesen Bahnen, und ich weiß, dass es mir gerade während dieser Minuten tatsächlich gelang, alles, was mit dem Eindringling, meinen Gedächtnislücken und meiner schwierigen Situation zu tun hatte, auf angenehme Distanz zu halten. Vielleicht zum letzten Mal. Ich trank meinen Kaffee aus. Seinen übrigens auch.
Heinz Hellers.
Dann tauchte er plötzlich vor mir auf, der Name einer seiner frühesten Skulpturen, eine Geschichte mit Büsten in Bronze, die sich inzwischen in
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